Autorin
Sabine Ibing
Interview mit Anne von Vaszary
(von Sabine Ibing)
Anne von Vaszary ist 1975 in Großenhain bei Dresden geboren.
Sie studierte Filmdramaturgie und Drehbuch an der
Filmuniversität Babelsberg »Konrad Wolf«.
Seit 1999 lebt sie mit ihrer Familie in Berlin, wo sie als freie Autorin
arbeitet. Ihr Roman-Debüt »Rock mich!« erschien 2007.
Als Narrative Designerin konnte sie sich in der Gamesbranche
etablieren und erhielt bereits mehrere renommierte Preise.
Zuletzt den Deutschen Entwicklerpreis 2016 „Beste Story“ für das
Spiel „Silence“.
S.I.: Zunächst herzlichen Glückwunsch zum Preis des
»Arbeitsstipendiums« der »Mörderischen Schwestern 2016«, das
für einen Kriminalroman oder eine Sammlung eigener
Kriminalstorys vergeben wird, welches du in diesem Jahr
gewonnen hast. Was bedeutet für dich dieser Erfolg?
A.v.N.: Danke, Sabine! Dieser Preis bedeutet mir sehr sehr viel,
denn er ist mit kollegialer Anerkennung und Zuspruch
verbunden. Er zeigt mir, dass sich meine jahrelange Arbeit im
stillen Kämmerlein gelohnt hat und dass ich nicht die Einzige bin,
die an die Geschichte der Schnüfflerin glaubt und hofft, dass sie
viele Leser findet. Anerkennung und Zuspruch sind sehr gute
Motivatoren. Die Besten!
S.I.: Der Titel für deine Einsendung heißt »Die Schnüfflerin«.
Erzähle uns davon.
A.v.N.: In der Geschichte geht es um eine junge Frau, die
aufgrund ihrer Schwangerschaft einen außergewöhnlich guten
Geruchssinn entwickelt, mit dem sie einem Mörder auf die Spur
kommt. Sie selbst ist in den Fall verwickelt, weil der One-Night-
Stand, von dem sie schwanger wurde, eines der vier Mordopfer
ist. Der ermittelnde Kommissar ist ein grummeliger Typ, der
allerdings der einzige ist, der das olfaktorische Potential der
Hauptfigur erkennt und zur Entfaltung bringt. Früher war er bei
der Hundestaffel. Generell kommt er besser mit Hunden als mit
Menschen aus. Das ändert sich aber recht schnell, denn die
beiden werden ein richtig gutes Ermittlerteam. So gut, dass noch
mehr Fälle mit den beiden geplant sind.
S.I.: Der Roman ist noch nicht verlegt. Glaubst du, es wird dir
hilfreich sein einen Verlag zu finden, mit einem Manuskript, für
das du bereits einen Preis gewonnen hast?
A.v.N.: Das hoffe ich doch sehr!
S.I.: Du kommst aus der Branche der Film- und
Fernsehdramaturgie. In dieser Branche ist man auf Dialoge
fokussiert, nicht auf die erzählerische Kraft. Wie schaffst du es,
beim Schreiben von Romanen umzuschalten?
A.v.N.: Bei der Filmdramaturgie ist der meist zitierte Leitsatz:
Show, dont tell. Was die Leute tun, wie sie handeln, was das
Szenenbild verrät, das Licht, die Farben, der Kameraausschnitt,
die Musik, ist wichtiger als die Dialoge. Sie sind Teil der
Charakterdarstellung der Figuren. Film ist schließlich ein
visuelles und auditives Medium. Sich all dieser Aspekte bewusst
zu sein, hilft auch beim Entwickeln von Geschichten für andere
Medien und Formate.
S.I.: Filmdramaturgie ist eine spannende Sache, überhaupt
dramaturgisches Denken. In Deutschland wird an den Unis leider
das Fach »kreatives Schreiben, dramaturgisches Schreiben«
nicht gesondert gelehrt. Das lehrt man nur in Verbindung mit
Film und Theater. Ist das ein Manko für deutsche Schriftsteller?
A.v.N.: Ja, denn im Grunde geht es allen Autoren ähnlich, ganz
unabhängig davon, woran sie schreiben. Sie versuchen etwas in
Worte zu fassen, das noch ungesagt und unbeschrieben ist. Die
Gefahr sich zu verzetteln, ist groß. Dramaturgische Hilfe ist
mehr als nur ein Bauplan, sie ist ein Leuchtturm.
Als großes Manko stellt sich auch immer wieder die Angst vor
Genremix oder Vermischung von sogenannter "Hoch-und
Unterhaltungskultur" heraus. Und Angst zerstört Kreativität.
S.I.: Nützt dir deine dramaturgische Ausbildung bei der
Entwicklung deiner Roman-Plots?
A.v.N.: Ja, auch wenn ich es nicht bewusst anwende. Ich suche
Themen, die mich interessieren und reflektiere sie mithilfe der
Geschichte, finde Facetten, werde von neuen Perspektiven
selbst überrascht – während des Schreibprozesses. Ja, ich
schreibe wirklich auf sehr intuitive Art. Zumindest meine
eigenen Texte. Bei Auftragsarbeiten sieht das natürlich
vollkommen anders aus.
S.I.: Du arbeitest sehr viel in der Gamesbranche. Erkläre uns,
wie viel Arbeit als Texter hinter einem Adventurespiel z.B. steckt.
A.v.N.: Es gibt Spiele, die nur eine Prämisse für Interaktion
brauchen, wie zum Beispiel den Entwurf einer Welt, die von
Feinden bedroht wird und gerettet werden muss. In dem Fall hat
man als Texter nicht viel zu tun, da beschreibt man die Regeln
der Welt, die Motive der Feinde und formuliert ein paar
Kommentare für das Nachladen der Waffe.
Aber es gibt auch Spiele, die den Spieler nicht nur mithilfe von
Bedrohungsszenarien motivieren, sondern andere Fragen
aufwerfen, die den Spieler auf die Suche nach Antworten
schicken. In „Black Mirror“ zum Beispiel, findet man sich als
Nachfahre einer jahrhundertealten englischen Familie auf
einem düsteren Schloss wieder. Der mysteriöse Selbstmord des
Onkels ist nicht das einzige Rätsel dort. Deshalb gibt es auch drei
Teile. Und ich finde, dass diese Geschichte noch immer nicht
auserzählt ist. Für einen vierten Teil würde mir auch noch etwas
einfallen. Das sind große Geschichten mit vielen Wendungen und
falschen Fährten. So ein Spiel hat ungefähr zwanzig Stunden
Spielzeit, die müssen auch mit spannenden Nebenplots und
Backstory gefüllt werden, denn der Spieler will vielleicht ganz
und gar in die fremde Welt eintauchen und alles über sie
erfahren. Vielleicht auch nicht. Das heißt, es sollte die Möglichkeit
für ausufernde Dialoge geben. Storyrelevante Informationen
müssen aber auch ohne viel Text gefunden werden können.
S.I.: Was ist der Unterschied vom Game-Texter zum Filmtexter?
A.v.N.: Während eine Filmgeschichte ganz bei sich bleibt, dem
passiven Zuschauer von sich selbst erzählt, ist die Haltung des
Spielers aktiv. Das heißt, er will selbst die handelnde Hauptfigur
sein, Entscheidungen treffen und dadurch seine eigene
Geschichte erleben. Das setzt Freiheiten im Handeln voraus.
Man muss als Autor also immer alle Interaktionsmöglichkeiten im
Kopf haben und berücksichtigen. Keiner, der nicht will, sollte
dazu gezwungen werden, sich durch seitenlange Dialoge
durchzuklicken. Sind sie nicht da, werden sie aber garantiert
vermisst und berauben andere Spieler der Möglichkeit sich mit
den Motivationen der Figuren intensiver auseinanderzusetzen.
Ein Balanceakt.
Die Interaktionsmöglichkeit wirkt auch oft retardierend und
verlangsamt den Erzählfluss. Wenn der Spieler sich erstmal in
der Szene umschauen will, anstatt den Mörder zu verfolgen,
verpufft die vorher aufgebaute Spannung gerne mal. Hinzu
kommt, dass Suspense-Situationen aus der Ich-Perspektive, in
der man sich als Spieler mit seiner Spielfigur ja befindet, nicht
möglich sind. Jedenfalls nicht im klassischen Hitchcock-Sinn. Im
Film ist der Zuschauer nur der Beobachter der Szene, er weiß
mehr als die handelnden Figuren, die gemütlich am Kaffeetisch
sitzen und plaudern, während unter ihrem Tisch die Bombe tickt.
Aus diesem Vorwissen erwächst die Spannung. Im Spiel weiß man
genauso viel wie die Spielfigur, die man steuert. Der Trick mit
dem Vorwissen fällt dadurch schonmal weg. Es gibt aber noch
viele andere Formen der interaktiven Erzählweise, ich habe hier
nur eine beschrieben.
Gemeinsamkeiten gibt es trotzdem, egal in welchem Format: Die
Story muss in allen Fällen glaubhaft sein, die Motivationen/
Handlungen der Figuren nachvollziehbar.
S.I.: Wie bist du überhaupt zum Texten von Computerspielen
gekommen?
A.v.N.: Meine dramaturgische Neugierde hat mich dahin
gebracht. Während des Studiums wurde ein Kurs für
interaktives Schreiben angeboten, aus dem Projekte
entstanden, die wiederum zu neuen Ideen und Leuten führten.
Es war ein Sog in die unbekannten Weiten der interaktiven
Erzählmöglichkeiten.
S.I.: Ich habe dich als sehr humorvolle Person kennengelernt,
trockener Humor, ich mag das. Du hast für das Fernsehen das
Konzept für die Comedy-Show »Weibsbilder« geschrieben.
Woran liegt der Reiz im Comedy für dich?
A.v.N.: Komisch wird es dann, wenn es weh tut. Wenn es an den
Kern der Wahrheit geht. Comedy ist eine Form mit Wahrheiten
umzugehen. In Sketchform allerdings eine sehr kurze. Ich bin
für längere und offenere Erzählformen. Genreübergreifende
Geschichten. Komische Tragödien. Tragische Komödien.
Reflexion in vielen Facetten.
S.I.: Welches sind deine aktuellen Lieblings-Comedy-Sendungen
bzw. einzelnen Interpreten?
A.v.N.: Ich schau im Moment hauptsächlich Serien und höre
Podcasts. Meine komischen Lieblinge sind da bei den Serien
„Modern Family“ und beim Podcast „Fest & Flauschig“ von Olli
Schulz & Jan Böhmermann. Die ernsten Lieblinge: „Bates Motel“,
„Twin Peaks“ (immer wieder) und der Dramaturgiepodcast „Im
Oberstübchen“ von Matt Kempke (echter Geheimtipp für alle
Geschichtenerzählinteressierte).
S.I.: Ich wünsche dir nun alles Gute für dein neues Projekt, »Die
Schnüfflerin«.
A.v.N.: Dankeschön! Ich bin gespannt, wo es mich hinführt.
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