Autorin
Sabine Ibing
Um Ferit Payci vorzustellen, zitiere ich ihn einfach selbst:
»Geboren 1966 in Ankara, aufgewachsen in Wien und daheim in
den Tiefen der Weltmeere, beantwortet der seit vielen Jahren
Reisende die Frage nach seinem Zuhause gerne mit: Der Planet
Erde.«
Er absolvierte die Hochschule für Nachrichtentechnik in Wien.
1998 beendete er seine Karriere als EDV-Projektleiter, wechselte
zu den Berufen zum Tauchlehrer und Schriftsteller.
www.youtube.com/channel/UCegovPMi56QlooalYLa8ikA
S. I.: Ferit, wie reagierst du auf die Frage »Woher kommst du?«
und nervt dich solch eine Äußerung?
F. P.: Nein, ganz im Gegenteil, ich habe durchaus Verständnis
für diese Frage. Ich selbst interessiere mich ja auch für die
Herkunft von Menschen. Natürlich steht der Mensch an sich im
Vordergrund und nicht sein Beruf, seine Herkunft oder seine
Religion, aber ohne diese Fragen ist es oft schwer in ein
Gespräch zu kommen und es nervt mich nicht im Geringsten.
S. I.: 1998 bist aus deinem Job ausgestiegen. Erst 2015 erschien
dein erster Roman. Hast du solange zum Schreiben gebraucht,
oder kam der Wunsch zum Schreiben erst später?
F. P.: Der Wunsch zu schreiben hat mich seit meiner Jugend
begleitet. Der Ausstieg aus meinen Job und einem geregelten
Leben hatte andere Gründe. Die Reise, die ich dann begann, ließ
keinen Raum dafür, außerdem war ich in meinem Inneren noch
nicht so weit, ich hatte noch nicht zu meiner Mitte gefunden, war
viel zu unruhig, um meiner Berufung zu folgen.
S. I.: Mit deinem Debütroman »Der Administrator«,
Chefinspektor Onders ermittelt in Wien, hast du es als
Selfpublisher in eine Wiener Zeitung geschafft. Wien ist ja kein
Dorf. Welches Gefühl hat man, wenn man als Selfpublisher in
einer Großstadt wahrgenommen wird?
F. P.: Es ist ein tolles Gefühl, weil ich mit jedem Schritt meinem
Wunsch näherkomme, nicht nur zu schreiben und damit Leser zu
erreichen, sondern auch ein bescheidenes Auskommen damit
erarbeiten zu können. Im September wird eine ORF-Talk-Show
ausgestrahlt, in der ich zu Gast sein durfte. Ich bin davon
überzeugt, dass der Weg zum Erfolg wichtig ist und alle
Stationen auf diesem Weg notwendig sind, um dem Erfolg Wert
zu verleihen. Der Weg den wir gehen, formt uns, so wie wir den
Weg formen, indem wir ihn beschreiten.
S. I.: Onders ist eine überzeichnete Figur. Stell sie uns bitte vor.
F. P.: Er ist als Chefinspektor bekannt für seine ungewöhnlichen
Methoden, ist scharfsinnig und eher ruhig bis introvertiert, wenn
er an einem Fall arbeitet. Äußerlich eine unscheinbare Person,
wartet er gerne mit überraschenden Einfällen auf, die eher
seinem Bauchgefühl entspringen. Er lässt sich von der Energie
des Tatortes und der Tat inspirieren und weniger der Logik, die
auf den ersten Blick seinen Theorien oft widerspricht. Er ist
Familienvater und kämpft ständig mit der Tatsache, dass er Frau
und Tochter vernachlässigt. In Kombination mit den
menschlichen Abgründen, die ihm beruflich begegnen, quälen
ihn Sinnfragen und immer wiederkehrende
Selbstmordgedanken.
S. I.: Der Administrator, so der Titel, du warst früher IT-
Projektleiter. Ist dies eine Auseinandersetzung mit der IT-Welt?
Eine Mahnung an den bedenkenlosen Umgang mit dem Internet?
Wer steckt wirklich hinter dem Chat, hinter dem Facebook-Profil?
F. P.: Ja, das stimmt und es hat den Grundstein zur Idee für den
Administrator gelegt. Das Netz wird rasant anonymer und
gleichzeitig scheint unser Vertrauen blind zu steigen. Ich glaube
nicht an die Aussage: „Ich habe ja ohnehin nichts zu verbergen!“
Darum geht es meiner Meinung nach nicht - es werden Daten
erfasst und mit diesen Daten wird gehandelt, also Geld verdient.
Obendrein wissen wir alle nicht, ob und wann sich die politischen
Kräfte in einem Land verschieben und diese Daten, die wir zu
offenherzig preisgeben, uns nicht doch zum Verhängnis werden
können. Beispiele dazu gibt es leider genügend, wie derzeit in
der Türkei.
S. I.: Du hast damals für eine US-Firma gearbeitet und bewusst
dein Leben geändert, den gut bezahlten Job gekündigt, bist
Tauchlehrer und Schriftsteller geworden. Ein kurzer Entschluss,
eine lange Überlegung, warum?
F. P.: Man könnte es fast schon einen Kurzschluss nennen, so
kurz war die Überlegung. Ich war immer schon ein Reisender und
habe mich mehr als Erdenbürger gefühlt, also keiner Nation
zugehörig. Diese Unruhe hat mich angetrieben und als ich eine
Frau traf, die ähnlich dachte, war unser Entschluss schnell
gefasst. Ohne große Planung starteten wir ein Abenteuer, eine
Reise, die in Australien begann und uns danach als Tauchlehrer
und Basisleiter bis auf die Malediven führte. Liebe, Unruhe und
Abenteuerlust getragen von der Frage: „Soll das jetzt alles
gewesen sein?“ waren die Auslöser.
S. I.: Du betätigst dich in deinem Blog auch als Alltagsphilosoph,
es gibt sehr zarte Texte von dir. Ein Gegensatz dazu Hardboild-
Krimis. Ein Widerspruch?
F. P.: Für mich absolut kein Widerspruch, vielmehr eine
Notwendigkeit. Jeder Mensch, jedes Lebewesen trägt alles in
sich. Das Gesetz der Dualität will es so, darum bin ich, als jeher
gewaltfreier Mensch, mir durchaus bewusst, dass auch diese
Facette in mir zu finden ist. Ich konsumiere seit vielen Jahren
kein Fernsehen, Zeitungen, keine gewalttätigen Filme und lese
selten Bücher dieses Genres - was früher anders war - und lebe
diese Seite meiner Natur in meinen Romanen aus.
S. I.: Dein zweiter Onders-Krimi spielt im Bereich der
Pharmawirtschaft. Eine schwangere Frau stirbt an einem
Herzinfarkt, so die erste Vermutung. Der Rechtsmediziner findet
heraus, eine Herzmuskelentzündung ist Schuld und er entdeckt,
dass der Fötus in ihrem Bauch übernatürlich deformiert ist. Und
er kommt einem synthetischen Wachstumshormon in ihrem
Körper auf die Spur, das anscheinend der Verursacher der
Auffälligkeiten ist. Was hat dich zu dieser Idee getrieben?
F. P.: Mein Interesse für das Leben. Ich beschäftige mich gerne
mit Fragen wie Ernährung, Umwelt und wie gehen wir Menschen
miteinander und unserer Umwelt um. Vor einigen Jahren habe
ich mich zu einer vegetarischen Ernährung entschieden und
später dann vegan. Diese Schritte passieren sehr bewusst und in
Verbindung mit viel Recherche. Die Vergangenheit hat uns schon
deutlich vor Augen geführt, was alles in der Massentierzucht
schiefläuft und es passiert immer noch, jeden Tag. Da war nicht
mehr viel Fantasie nötig, um „Wachstum“ zu schreiben.
S. I.: Bisher bist du Selfpublisher. Bleibt es dabei oder bist du
weiter auf der Suche nach einem Verlag? Wenn Ja, suchst du
eher einen kleinen Verlag oder einen Publikumsverlag? Warum?
F. P.: Ich bin gern Selfpublisher. Die damit verbunden Freiheit,
schreiben zu können, wann und was ich will, wiegt sehr schwer
für mich und meinen Lebensstil. Ich suche nicht, was kein
grundsätzliches Nein zu Verlagen bedeutet, sollte ich gefunden
werden.
S. I.: Du vertreibst deinen letzten Roman als Kindle-unlimited,
das heißt, man kann das eBook kaufen aber auch als Prime-
Kunde gratis ausleihen. Du wirst nach gelesenen Seiten von
Amazon bezahlt. Warum hast du dich für das zweite Buch so
entschieden, für das erste nicht?
F. P.: Auch das erste Buch „Der Administrator“ war zu Beginn in
Kindle- unlimited verfügbar. Es hat den Vorteil, dass die
Platzierung mit jedem Download besser wird und das ist mir
gerade kurz nach der Veröffentlichung wichtig. „Wachstum“
wird auch nur eine begrenzte Zeit verfügbar bleiben.
S. I.: Lohnt es sich für dich als Autor, nach gelesenen Seiten
bezahlt zu werden?
F. P.: Solange der ausgeschüttete Betrag nicht geringer wird,
bekomme ich in etwa die Hälfte von einem regulären Kauf eines
E-Books. Das ist für mich insofern in Ordnung, da ich noch nie
Gratisexemplare vergeben habe und so sehe ich es als Teil
meiner Werbung an. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass der
Preiskampf unter den Indie-Autoren der falsche Weg ist.
Heutzutage herrscht bei vielen Menschen leider die Denkweise:
„Kostet es nichts, ist es auch nichts wert!“
S. I.: Wenn du dein eBook über Kindle-unlimited anbietest, bist
du geknebelt. Du darfst es nur dort vertreiben, nicht auf
anderen Verkaufsbühnen, wie z.B. auf Tolino oder Apple. Fühlst
du dich an die Ketten von Amazon gelegt, bzw. nicht? Warum?
F. P.: Das ist einer der Gründe, warum ich es zeitlich begrenze.
Natürlich steckt System hinter der Vorgehensweise des
Marktführers, aber mir ist es wichtig, auch auf anderen
Plattformen wie Tolino anbieten zu können, was bei „Der
Administrator“ hervorragend funktioniert.
S. I.: Lektorat und Korrektorat, wie stehst du als Selfpublisher
dazu? Warst du überrascht, wie viel an deinem Text in der
Rohfassung noch nicht stimmig war?
F. P.: Ich war nicht überrascht, da ich mich mit dem Handwerk
„Schreiben“, eindringlich beschäftigen konnte, bevor ich mein
erstes Buch geschrieben habe. Ich habe Bücher übers Schreiben
gelesen, im Internet recherchiert und nachgedacht. Lektorat
und Korrektorat sind eine unverzichtbare Aufwertung der
Qualität für mich und ich freue mich über jeden
Verbesserungsvorschlag, da es mir um das Werk geht und nicht
darum, im Recht zu sein. Das bestmögliche Endresultat steht im
Vordergrund meiner Entscheidungen.
S. I.: Du hast bis heute gute Verbindungen in die Türkei.
Besuchst du noch immer deine Freunde dort oder ist es dir nun
zu gefährlich geworden?
F. P.: Leider ist meine Verbindung zu vielen meiner Freunde auf
das Internet beschränkt. Durch meine Reisen habe ich einen
Freundeskreis gewonnen, der sich fast einmal um den Globus
spannt. Aber das ist ein Beispiel für die positiven Aspekte
unseres Kommunikationszeitalters, vor 30 Jahren hätte ich wohl
viele Freundschaften nicht erhalten können. Meine Eltern waren
erst kürzlich in der Türkei und hatten keine negativen
Erlebnisse.
S. I.: Was können wir von hier tun, um die Demokratie in der
Türkei zu stützen?
F. P.: Es wird viel getan. Die Stimme des Internet ist
allgegenwärtig und wird täglich lauter. Was ich bedauernswert
finde, ist die Haltung der westlichen NATO-Staaten zu derart
menschenverachtenden Maßnahmen und Freiheitsberaubung,
wie es in der Türkei derzeit geschieht.
S. I.: Du schreibst an einem neuen Buch. Erzähl uns davon.
Wann erscheint es?
F. P.: Ja, ich bin von der Idee gefesselt und arbeite mit
Hochdruck an den ersten Kapiteln und der Recherche. Das
Thema wirft ständig neue Fragen auf, die ich klären möchte, um
besser und authentischer schreiben zu können. Zum Inhalt
möchte ich noch nicht allzu viel verraten, aber es wird ein sehr
emotionaler Fall für Onders, da die Thematik sehr ergreifend
und immer noch unglaublich aktuell ist.
S. I.: Ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
F. P.: Ich bedanke mich für das Interview.
Zu den anderen Interviews
Literaturblog Sabine Ibing
Interview mit
Ferit Payci
(von Sabine Ibing)