Autorin
Sabine Ibing
Interview mit
Monika Mansour
(von Sabine Ibing)
Monika Mansour wurde 1973 im Kanton Zürich geboren und
wuchs auf einem Bauernhof auf. Die Wurzeln zur Krimiautorin
wurden früh gelegt, auf diesem Bauernhof: »Nur 500 Meter
durch den Wald die Straße hoch gab es nämlich eine
psychiatrische Klinik, später dann zusätzlich ein Asylanten-
Auffanglager sowie eine Jugend-Drogenentzugsklinik. Da kam
es schon mal vor, dass sich einer an einem Baum erhängte, die
Polizei mit Hubschrauber und Blaulicht um Mitternacht unseren
Hof umstellte oder im Wald Schüsse fielen. Einmal musste mein
Vater wegen einer Messerstecherei auf dem Polizeiposten
aussagen. Ein anderes Mal kam ein entflohener Insasse der
Psychiatrischen auf unseren Hof und hat mir 20 Franken vor die
Füße geworfen. Ich solle ihm den Heimweg zeigen.«
Nach ihrer Ausbildung zu Augenoptikerin jobbte sie ein gutes
halbes Jahr in Neuseeland und Australien. Auf der Suche nach
dem richtigen Beruf tranchierte Monika Mansour in einem Hotel
Châteaubriand, sie führte eine Whiskybar, arbeitete im Check-
in im Flughafen Zürich und als Tätowiererin in einem Studio.
Heute ist sie Teilzeit in einem Büro beschäftigt.
http://www.monika-mansour.com
S. I.: Man sagt, dass du deine Manuskripte mit der
Schlussszene beginnst? Ein sehr ungewöhnlicher Weg. Wie bist
du darauf gekommen?
M. M.: Es ist für mich der logische Weg. Ohne die Ziellinie vor
Augen läuft man ja auch keinen Marathon, sonst verirrt man
ganz schnell und verliert die Motivation.
Es gibt viele tolle Bücher mit prägnanten Charakteren, einem
spannenden Anfang, einem vielversprechenden Plot. Und dann
endet die Geschichte konstruiert und unglaubwürdig mit einem
flachen Finale. Nichts ist enttäuschender.
Wenn man als Autor den genialen Höhepunkt vor sich sieht,
dann baut man automatisch jede Szene daraufhin auf. Alle
Fährten, Spuren, Hinweise, Dialoge, Bemerkungen zielen auf
diesen Höhepunkt hin. Der Plot wird logisch, natürlich und
spannend, ohne dass man mit seltsamen konstruierten Zufällen
und Twists und neuen Figuren ein Ende finden muss, dass dann
doch nicht wirklich befriedigt. Gerade im Krimi- und
Thrillergenre ist das enorm wichtig, finde ich. Ich kann keinen
Krimi schreiben, wenn ich als Autor den Mörder nicht kenne.
Es ist jedoch viel schwieriger, eine gute Schlussszene zu finden,
als einen tollen Anfang. Spannende Anfänge könnte ich
dutzende aus dem Ärmel schütteln, nach einem wirklich guten
Schluss suche ich manchmal tage- oder wochenlang.
S. I.: Wie strukturiert arbeitest du beim Schreiben?
M. M.: Ich plotte schnell, intensiv und detailliert. Stehen die
Kernidee, Motiv und die Schlussszene fest, kenne ich die
Charaktere, die mitspielen wollen, dann rotiert es während
etwa 2-4 Wochen in meinem Kopf. In dieser Zeit bin ich oft
abwesend, weil mich mein neues Projekt total fesselt und ich
möglichst schnell mit dem Schreiben beginnen will.
Für jeden Charakter brauche ich ein Bild (da caste ich oft in
Hollywood, aber die Bildvorlagen sind ein streng gehütetes
Geheimnis von mir!) und ich erstelle ein Charakterblatt, etwa 1-2
Seiten lang. Dann werden die 10 wichtigsten Szenen
aufgeschrieben. Es folgt ein Exposé. Dieses teile ich dann meist
in 3 Akte auf. Für jeden Akt lege ich die Schlüsselszenen fest
(entscheidende Momente, Wende- und Höhepunkte, Tiefen und
Rückschläge ect.) Dann werden die Akte in Kapitel unterteil und
für jedes Kapitel die Szenen mit ein bis zwei Sätzen notiert. Man
könnte also sagen, ich strukturiere ziemlich detailliert, was
aber nicht bedeutet, dass ich stur daran festhalten muss. Finde
ich während des Schreibens eine bessere oder andere Szene,
einen neuen Twist, dann nehme ich eine Abkürzung oder auch
einen Umweg. Wichtig ist nur, dass ich immer das Ziel vor Augen
habe und nicht vom Thema abschweife.
S. I.: »Liebe, Sünde, Tod«, »Himmel, Hölle, Mensch«, »Luzerner
Todesmelodie«, drei Krimis mit Kommissar Cem in Luzern.
Warum hat du einen Schweizer mit türkischen Wurzeln als
Hauptprotagonisten gewählt, nicht ein Schweizer Urgestein und
warum Regionalkrimi?
M. M.: Mein eigenes Leben ist Multikulti, obwohl ich total
schweizerisch auf einem Bauernhof auf dem Land
aufgewachsen bin. Aber ich bin viel gereist, habe andere
Länder und Leute kennen gelernt und finde den kulturellen
Austausch enorm spannend. Mein Mann ist Ägypter und mein
Sohn wächst mit zwei Kulturen auf. Zudem wohne ich in einem
spannenden Haus, umgeben von Türken, Irakern, Tamilen,
Kroaten…. Ich finde das toll. Auch das ist Schweiz. Man muss
sich vor anderen Kulturen und Religionen nicht fürchten, man
kann sich daran bereichern. Deshalb wurde Cem ein Secondo.
Aber ein Araber durfte er nicht sein, sonst hätte ihm mein
eigener Mann immer mal wieder in die Ermittlungen
geschwatzt. Also wurde Cem ein Schweizer mit türkischen
Wurzeln.
S. I.: In »Himmel, Hölle, Mensch«, sind Mordmotiv, Täter, und
Tatort recht ungewöhnlich. Wie findest du deine Ideen, was
inspiriert dich, was ist dein persönliches Anliegen?
M. M.: Ideen umgeben uns, man muss sie nur wahrnehmen. Ein
Kugelschreiber liegt auf dem Tisch neben dem PC. Schon ist sie
da, die Mordwaffe. Ideen findet man überall. Auf dem Bahnhof,
beim Träumen, beim Joggen, im Fernsehen… Schwierig ist für
mich eher, eine Handvoll guter Ideen zu einer tollen Story zu
verknüpfen. Und ganz wichtig: man muss über ein Thema
schreiben, dass einem fasziniert, in einem Genre, das man liebt.
Ich könnte zum Beispiel keinen Wirtschaftskrimi oder Politthriller
schreiben, auch keine Horrorstory, einen Medizinkrimi, Dark
Romance- oder Fantasythriller aber schon.
Immer wichtiger wird für mich, dem Krimi auch eine Message
mitzugeben, das wird vor allem im nächsten Luzerner Krimi der
Fall sein. Da schreibe ich über ein Thema, das mich beschäftigt
und ich den Leser auch zum Nachdenken anregen will. Aber
ganz wichtig: als Autor sollte man nie belehrend wirken und
dem Leser die eigene Sicht aufzwingen. Vielmehr sollte man das
Thema ansprechen, Pro und Kontra zu Wort kommen lassen
und den Leser am Ende selber seine Meinung bilden lassen.
S. I.: Mir gefällt an deinen Romanen die Ausdruckskraft. Du
beschreibst detailliert Situationen, so dass dem Leser Kopfkino
beschert wird. Bei dir macht ein Mensch nicht irgendwas.
Während er mit den Händen agiert, denkt er, schaut mit den
Augen etwas an, sein Fuß tritt gegen die Tür, der Ellenbogen
drückt irgendwo gegen, im Hintergrund gibt es Geräusche,
Gerüche. Wie lange überlegst du eine Szene, bis du sie
beschreibst, wie oft änderst du sie? Probierst du manchmal
Bewegungsabläufe aus?
M. M.: Ich überlege eigentlich nicht viel, während des
Schreibens. Ich sehe die Szene bildlich vor mir und schreibe sie
nieder. Show don’t tell, das lernt man in Schreibkursen oder aus
Büchern. Aber es braucht etwas Übung, das instinktiv
umzusetzen. Heute kann ich das ganz gut (und könnte noch viel
besser werden), aber am Anfang meiner Karriere war ich
schrecklich darin. Man kann sagen, es hat etwa 1000 Normseiten
gebraucht, bis ich den Dreh raushatte.
Ich schreibe in einfachen Sätzen, denn literarisch schön
konstruierte Gebilde holen einem raus aus dem Kopfkino. Man
sieht geschriebene Wörter und keinen Film mehr. Das ist gut,
wenn man literarische Werke in kleinen Häppchen liest, aber
einen Krimi oder Thriller verschlingt man nicht in einer Nacht,
wenn man über Satzgebilde stolpert.
Dann habe ich mir angewöhnt, Satzteile wie: ‚er dachte…‘ oder
‚sie fühlte…‘ zu streichen. Solche Satzteile sind beschreibend,
nicht zeigend. Also statt ‚Sie fühlte die Kälte‘ besser ‚Sie
klapperte mit den Zähnen‘ - schon ist das Bild im Kopf.
Auch spare ich mir Beschreibungen, die mehrere Sätze lang
sind. Sie lenken von der Handlung ab. Lieber alle drei bis vier
Sätze eine kurze Beschreibung einfügen. So wird die Szene
bildlich, greifbar und bleibt dennoch spannend ohne
Unterbrechung.
Und dann natürlich unbedingt alle Sinne mit einbeziehen. Nur so
wird die Szene wirklich lebendig und echt im Kopf.
S. I.: In »Luzerner Todesmelodie« beschreibst du einen
Soziopathen, sehr gut charakterisiert, finde ich. Hast du dich in
das Thema eingelesen?
M. M.: Du sprichst von Neven O’Brien. Der war echt schwer und
die totale Herausforderung und bis zum Schluss war ich mir
nicht sicher, ob er auch wirklich funktioniert. Ich war total
nervös, als ich das Manuskript meiner Agentin gegeben habe.
Ich wollte über einen bösen Menschen schreiben. Aber gibt es
den, den bösen Menschen? Das wäre ein sehr einseitiger,
langweiliger Charakter.
Neven ist sehr manipulativ. Er hat auch mich manipuliert. Er
wollte mich immer dazu verführen, ihn gut werden zu lassen.
Denn um über einen Charakter zu schreiben, muss ich ihn auch
irgendwie lieben, sonst wird das nichts. Und ich habe Neven
geliebt und vermisse ihn - noch heute. Und irgendwie habe ich
mich immer schuldig gefühlt, dass ich einen so tollen Charakter
verteufelt habe. Ja, so ist das als Autor, man lebt halt wirklich in
zwei Welten.
S. I.: Hier geht es auch um Faszination, Fankult, Idole. Bei dir ist
es ein Stargeiger. Entsteht der Kult um ein Idol von allein oder
muss sich der Künstler inszenieren?
M. M.: Ich denke, zu einem grossen Teil ist der Künstler daran
‚Schuld‘. Es gibt die Exhibitionisten unter den Stars, die alles
über sich preisgeben, immer im Rampenlicht stehen wollen,
egal, ob es um ihre Kunst oder um Privates geht. Und dann gibt
es sehr erfolgreiche Stars, die man nur über ihre Kunst kennt
und ihr privates Leben auch privat leben. Aber von der
psychologischen Seite her sind eigentlich die Fans
interessanter. Sie eifern ihrem Idol nach, geben ihr eigenes
Leben praktisch auf und existieren nur für ihren Star. Wie kann
die Liebe zu einem Menschen, den man doch gar nicht kennt, so
gross sein, dass man in Ohnmacht fällt, wenn man ihn sieht, sich
ihm bedingungslos hingeben würde, wenn man könnte oder für
ihn sogar in den Tod geht, wenn er seine Starrolle aufgibt?
S. I.: Bei der Beschreibung des Teufelsgeigers dachte ich
ständig an David Garrett, die Optik, die Kleidung, das Talent,
der Kult. Ich sah ihn permanent vor mir. Auch er, hat wie der
Protagonist, ein kleines Team, das ihn überallhin begleitet. Oh,
oh, dachte ich ... Irgendwann kam die Erklärung, David Garrett
ist das Gegenteil, er ist der Weiße, der Gute. Dein Protagonist ist
der Teufel. Ist es nicht riskant, sich an einer berühmten
Persönlichkeit so dicht entlangzuhangeln?
M. M.: Tatsächlich hatte ich als Neven nie David Garrett im
Kopf, deshalb habe ich den Satz auch ins Buch eingeführt. Klar,
beide haben so ihren, für die klassische Musik, ganz
untypischen Look, sind eine Art Rebellen. Aber das war’s auch
schon - in meinen Augen jedenfalls.
Ich habe David Garrett letztes Jahr im KKL spielen sehen,
nachdem die erste Fassung von Luzerner Todesmelodie schon
fertig war. Trotz Fieber habe ich mich ins KKL geschleppt.
Garrett war toll. Und ich nach dem Konzert überzeugt, dass das
niemals hätte Neven sein können, der da spielt. Sie sind so
verschieden.
Es war eigentlich ein anderer Geiger, der mich inspiriert hat.
Vor etwa fünfzehn Jahren habe ich Maxim Vengerov in einem
Solokonzert im KKL erlebt. Ein Mann - eine Geige. Das war der
Wahnsinn! Vengerov und seine Stradivari konnten das Publikum
komplett hypnotisieren! Vengerov war grossartig, dieses
Konzert habe ich nie mehr vergessen. Aber nur um hier klar zu
stellen, Vengerov ist charakterlich absolut nicht Neven. Er hat
mir nach dem Konzert ein Autogramm gegeben, bescheiden
und fast schon schüchtern. Und ein paar Jahre später habe ich
ihn wieder getroffen. Er kam am Flughafen zu mir an den
Check-in Schalter, freundlich und ohne Starallüren.
Was ich damit aber sagen will: es war die Macht die ein Geiger
mit seiner Violine über ein Publikum haben kann. Ich denke, es
ist dieser Gedanke, der mich zu dem Buch inspiriert hat.
S. I.: Du beschreibst das KKL detailliert von innen. Du durftest
dir sicher die Räumlichkeiten ansehen. Recherchierst du immer
so genau?
M. M.: Ja, ich durfte in den KKL-Backstage-Bereich. Ein
Mitarbeiter vom Sicherheitsdienst hat mich herumgeführt und
alle meine Fragen beantwortet. Generell helfen einem
Spezialisten sehr gerne weiter, wenn ein Autor anklopft um
Fragen zu stellen. Auch die Luzerner Polizei ist da sehr offen.
Persönlich recherchiere ich immer gerne erst mal im Netz,
schreibe das Manuskript und recherchiere dann nochmals
nach. Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn ich vor dem
Schreiben zu sehr über ein Thema Recherchiere, dass ich dann
gerne von der Story abschweife und die unzähligen Infos in ein
Manuskript reinpacken will, die ich bei der Recherche erfahren
habe. Ein bekannter Autor hat mal gesagt, dass von all seinen
Recherchen etwa 10% ins Buch kommen, 90% verstauben im
Keller. Das kommt etwa hin. Ich hasse nichts mehr, als wenn ich
einen Science-Fiction Thriller lese, und mir dann über vier
Seiten erklären lassen muss, wie ein Dieselmotor gebaut wird.
Deshalb schreibe ich lieber erst die Geschichte, die ich erzählen
will und prüfe dann die Fakten nach, die ich im drin Manuskript
habe.
S. I.: Gibt es demnächst mehr von Cem zu lesen? Oder planst
du einen ganz anderen Stoff? Magst du uns davon berichten?
Und wo finden wir die Termine zu deinen Lesungen?
M. M.: Jaaa. Cems vierter Fall liegt schon bei meiner Agentin
auf dem Tisch. Es wird mystisch. Eine Hexe treibt ihr Unwesen,
Engel fallen in einen tiefen Schlaf und ein Geisterreiter jagt
durch den Meggerwald! Mehr verrate ich nicht.
Ich habe auch noch zwei weitere Projekte auf dem PC, an die ich
mich jetzt ranmache. Ich freue mich schon darauf. Einfach auf
meiner Homepage nachschauen, da steht immer drin, was ich
gerade so schreibe, wo ich Lesungen habe und was es über
meine Bücher zu berichten gibt.
S. I.: Vielen Dank für die Beantwortung meiner Fragen.
M. M.: Ich danke dir für die tollen Fragen!
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