© Sabine Ibing, Lorib GmbH         Literaturblog Sabine Ibing
Autorin Sabine Ibing
Esther Spinner, Jahrgang 1948, lebt in Zürich und verbringt Teile des Jahres in einem kleinen Dorf in Italien. Hier findet die Schriftstellerin ihre Ruhe zum Schreiben. Ende März stellte sie auf der Buchmesse in Leipzig und nun auch in Zürich ihr zehntes Buch vor, ihren sechsten Roman. Die Autorin liebt Sprache, das Detail, den Ursprung, die Weiterentwicklung von Wörtern. Ohne Worte ist sie nie, denn Esther Spinner beschäftigt sich seit Jahren mit Anagrammen und hat auch in diesem Bereich zwei Bände herausgebracht. Die Autorin spielt mit Worten in ihren Büchern und das mit einer guten Portion Humor. Ich treffe Frau Spinner vor ihrer Lesung zu einem kurzen Interview. Am besten trifft die Art zu Schreiben ein Auszug aus ihrem neuen Roman »Alles war«. Man könnte auch sagen: Alles wahr? »Mir schwindelt und ich denke an meine Mutter, die Schwindeln und Lügen unterscheidet. Sie selbst, so behauptet sie, lüge nie, gar nie - oder höchstens ganz selten. Schwindeln sei nicht so schlimm wie lügen, gleiche eher dem Flunkern. Wie, wenn mein Schwindel ein Schwindel wäre?« S.I.:   Ihr erster Roman »Die Spinnerin« ist auf Sardinien entstanden. Warum dort? E. S.:   Ich habe mir 1979eine Auszeit von einem Jahr genommen, um einen Roman zu schreiben. Allerdings hätte mein Budget dafür in Zürich nur für maximal sechs Monate gereicht. Sardinien war in Punkto Lebenshaltungskosten damals sehr günstig. Dort hat es für ein Jahr gereicht. Ich habe bis heute eine gute Beziehung zu Sardinien und den Menschen dort. Heute ist mir die Fahrt zu anstrengend. Ich habe einen zweiten Wohnsitz in einem kleinen Dorf zwischen Mailand und Genua. S.I.:   Schreibt es sich in Italien besser als in Zürich? E. S.:   In einem kleinen Dorf in Italien passiert nicht viel, die Zeit läuft langsamer. In Zürich kenne ich viele Leute, es gibt jeden Tag Veranstaltungen. Und weil ich neugierig bin, werde ich abgelenkt. In Italien kann ich mich ganz auf mein Schreiben konzentrieren. Dort entstehen alle Entwürfe. S.I.:   Freundschaft, Liebe, Familie, Trauer, Verlust, Themen, die sich durch alle Ihre Romane ziehen. Hat das etwas mit Ihrem eigenen Lebensweg zu tun? E. S.:   Das sind Themen, die mit jedem Menschen etwas zu tun haben. Autobiografisch sind meine Romane nicht. Aber natürlich steckt in jedem Buch ein wenig Ich eines Autors, Erfahrungen, die man sammelt. Ich versuche, in meinen Büchern auch das Thema Tod literarisch zu verarbeiten, denn wir alle sind davon betroffen, er wartet irgendwann auf jeden von uns, das sollten wir nicht verdrängen. S.I.:  Sie sind Psychodramaleiterin. Warum haben Sie diese Ausbildung gemacht? E. S.:   Ich habe als Lehrerin Krankenpfleger*innen ausgebildet und festgestellt, viele Schüler*innen waren nicht in der Lage, Berichte zu schreiben. Darum habe ich Kurse zum Berichtschreiben angeboten. Parallel bot ich Kurse zum kreativen Schreiben an. Bei der Besprechung der Texte brachen immer wieder Menschen in Tränen aus. Ich stand hilflos davor. Tränen dürfen sein, aber wie fange ich so etwas auf, fragte ich mich? Und so kam ich auf das Psychodrama. S.I.:   Können Sie Ihre therapeutische Ausbildung als Schriftstellerin nutzen? E. S.:   Es hat mich für das eigene Schreiben geschult. Je nachdem, wo man steht, je nach dem, wohin man den Blick lenkt, verändert sich, das, was man sieht. S.I.:   Sie schreiben gern Anagramme. Spielen Sie gern mit Sprache? E. S.:   Ich liebe es! Es ist immer wieder spannend und überraschend, was dabei herauskommt, wenn man Anagramme entwickelt. Wir haben eine Anagrammagentur im Netz, Sie finden dort Witziges und Philosophisches. 2016 haben wir DADA-Anagramme entwickelt, die wir auch bei Edition 8 veröffentlicht haben.     http://anagramm-agentur.ch/ S.I.:   Ich habe gehört, Sie beschäftigen sich täglich mit Wörterbüchern, stöbern darin herum, suchen nach dem Ursprung der Wörter, nach der Weiterentwicklung im Sprachgebrauch. E. S.:   Vielleicht nicht gerade täglich, doch ich finde Wörterbücher ebenso inspirierend wie die Entwicklung der Sprache. Man behauptete schon im 15. Jahrhundert, die Sprache würde verludern, dabei wandelt sie sich nur im Zeitgeschehen. S.I.:   Sprache hat sich verdichtet in den letzten Jahren, schon durch die digitale Kommunikation. Spüren Sie das bei sich selbst? E. S.:   Ich habe 1981 mein erstes Buch veröffentlicht und natürlich hat sich seitdem auch meine Sprache verändert. Die Texte sind dichter geworden, meine Sätze aber länger . Am schönsten ist es , wenn jeder einzelne Satz eine Geschichte erzählt. Zudem schreibe ich jedes Jahr ein Jahresgedicht, und das hat sich in den letzten Jahren extrem verdicht S.I.:   In Ihrem neuen Roman, »Alles war«, ist die Protagonistin auf der Suche nach dem Familiengeheimnis, nach den Lügen ihrer Kindheit. Gibt es eine Annäherung oder Versöhnung zwischen Mutter und Tochter? E. S.:   Die Mutter braucht die Tochter, weil sie krank ist. So kehrt die Tochter zurück, sucht nach Antworten, befragt Mutter, Tante, Onkel, es gibt eine Annäherung. Die Tochter lernt, dass die Wahrheit mehrstimmig ist. S.I.:   Schreiben Sie mehr in der Vergangenheit oder in der Zukunft? E. S.: Eher in der Erinnerung und der Gegenwart. Ich versuche sie zu verknüpfen. Zukunftsvisionen findet man bei mir selten. S.I.:   Auch die Welt der Literatur verändert sich. Wie sieht die Zukunft des Literaturbetriebs in der Zukunft aus? E. S.:   Das Tempo hat enorm zugenommen. Bücher haben kaum Zeit, beim Publikum anzukommen. Was sich nicht sofort verkauft, verschwindet aus den Geschäften, nur Bestseller vermögen sich zu halten. Wie die Zukunft werden wird, das vermag ich nicht zu sagen. S.I.:   Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Spinner.
Interview mit Esther Spinner (von Sabine Ibing)
Lesung in Zürich, Präsentation “Was war”, mit einer Laudatio von Verena Stettler, Verlag “edition 8”