Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
zeitgenössische Romane
Rezension
Als ich 13 war, überfiel mein Vater seine erste Bank
von Molly Brodak
»Mom ist als Einzige von uns absolut überzeugt, dass Dad ein Soziopath
ist. ›Er hat kein Gewissen‹, sagte sie. ›Er kennt keine Schuldgefühle.
Erwischt werden will er nicht, das ist klar, aber solange er nicht erwischt
wird, tut ihm nichts leid. Er will einfach seinen Willen haben, und andere
Menschen sind Objekte für ihn, die ihm dabei entweder helfen oder ihn
behindern. Sei vorsichtig, wenn du mit ihm redest. Er wird dich
manipulieren.‹«
Molly Brodak, die Autorin des Romans, versucht, das Unfassbare für sich
begreifbar zu machen. Ihr Vater ist ein Bankräuber. Er wird gefasst, als
sie 13 Jahre alt ist, sitzt sieben von zehn Jahre ab. Ihr Vater ist ein
Spieler und er ist süchtig nach Sportwetten.
»Zumal ein Süchtiger schon mal etwas hat, dem er treu ergeben ist, das
er über alles andere stellt.«
Ihre Kindheit ist ein einziges Desaster, Geld ist nie genug im Haus, die
Beziehung der Eltern durch Schreierei geprägt, Schlägertruppen, die
Geld vom Vater verlangen, die Familie zieht oft um. Molly zieht sich in
sich zurück, ihre Schwester rebelliert. Was ist geschehen, warum ist ihr
Vater ein krankhafter Spieler und warum blieb die Mutter so lange bei
ihm.
»Geht es uns da nicht gleich, Dad, vermissen wir nicht beide unseren
Dad, hat dieses Vermissen nicht mit uns beiden das Gleiche gemacht? Du
hast uns eine Person dagelassen, die unkenntlich ist, deine
Tarnlegende, deine Ausweichmanöver, und ich bin dir gefolgt, folge
immer noch, mehr denn je, wie verliebt in dieses Chaos, in diese
schwierige Familie, in meine verstörte Mutter und meine Schwester und
auch in dich, vor allem in dich, den Unkenntlichen.«
Molly resümiert, liest alte Briefe, ihre Tagebücher, fragt die Mutter.
Nebenbei erfährt man etwas über die Kindheit von Vater Brodak, der
1945 in einem Lager für Displaced Persons geboren wurde. Im Jahr
davor waren seine Eltern mit ihren fünf Kindern von den Nazis aus dem
polnischen Szwajcaria deportiert worden. Die Mutter trug ihr sechstes
Kind heimlich aus, während sie Zwangsarbeit leistete, der Vater
verstarb im KZ. 1951 ermöglichte eine katholische Organisation die
Überfahrt in die USA. Mollys Vater ist Exsoldier, ein Vietnamveteran. Die
Mutter, psychologisch instabil, brach Studien ab, verbrachte eine Zeit in
der Psychiatrie, bevor sie ihren Mann kennenlernte. Sie wurde als Kind
von ihrem Bruder missbraucht, leidet unter manisch-depressiven
Attacken. Die Beziehung der Eltern ist vorprogrammiert instabil, der
Vater ist ein notorischer Lügner. Die Mutter trennt sich irgendwann,
noch vor der Verhaftung, die Schwestern werden getrennt. Joseph
Brodak kommt aus dem Gefängnis, hat bald eine neue Partnerin, führt
wieder ein nach außen hin normales Leben, wird erneut bei General
Motors eingestellt, lebt in einem kleinen Haus mit Garten. Wieder türmen
sich Schulden durch seine Spielsucht und er überfällt 2009 wieder
Banken, und wird zu zehn Jahren Haft verurteilt.
»Seine Augenpartie veränderte sich, während er sprach, es war wie eine
Trübung oder Farbveränderung. (…) Zwischen uns war eine Schranke
der Peinlichkeit, die er nicht überquerte.«
Molly begreift schon als Kind, dass mit ihrem Vater etwas nicht stimmt,
er lügt und betrügt. Er räumt den Kindern die Sparbüchsen leer, Autos
werden plötzlich konfisziert, den erwachsenen Töchtern räumt der
Vater später die Sparbücher leer.
»In Familien lebt jeder allein.«
Molly Brodak beschreibt den Mittleren Westens, die Veränderungen
ihres Viertels in Detroit, den Untergang der Autoindustrie. Sie versucht
einen Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Niedergang,
Arbeitslosigkeit und Spielsucht zu ziehen. Sie möchte erklären, findet
keine Antwort. Die Mutter lebt in ihrer Welt, die Schwester vergöttert
den Vater, der sich eine Parallelwelt aufgebaut hat. Zwischen den
Schwestern gibt es keine Freundschaft. Molly scheint als einzige ein Ziel
zu haben: Sie will Dichterin werden.
»Der Himmel in Michigan kann so bleiern grau sein wie nasser Beton,
tagelang wälzen sich die Wolken dahin und reißen niemals auf. Darunter
meine Heimat, in der Erde versinkend, und die Erde verdaut ihr eigenes
Paradox, schweigend.«
Die Sprache ist poetisch kraftvoll, erzählerisch stark, an manchen
Stellen psychologisch scharf. Eine Familiengeschichte, die eigentlich
keine Familie ist.
zeitgenössische Romane
Krims und Thriller
Historische Romane
Fantasy, Fantastic, SciFi, Utopien Dystopien
Sachbücher (für jedermann)
Kinder- und Jugendliteratur