Autorin
Sabine Ibing
»Leute aus South Carolina konnten nicht mehr hoffen, je wieder nach
Hause zu kommen ... Gleich zu Beginn des Krieges hatten Agenten der
Union das Land mit einem Virus infiziert, das den Willen der entschlossen
sezessionistischen Bevölkerung lähmen sollte, und jetzt war es
vollständig abgeriegelt, ein Hospiz.«
Eine Dystopie, die in der nahen Zukunft spielt, aber beim Lesen das
Gefühl vermittelt, das alles hat mit unserem heutigen Leben zu tun, mit
dem, was derzeit passiert, nur umgekehrt, und genau darum ging mir
die Geschichte sehr nah.
Wir schreiben das Jahr 2075, die Klimakatastrophe hat längst
zugeschlagen, Teile von Amerika sind im Wasser versunken, wie auch
der Wohlstand. Viele Regionen sind wegen der Hitze nicht mehr
bewohnbar. China und das Bouazizi-Reich, ein Zusammenschluss aus
mehreren nordafrikanischen Staaten, sind nun die Weltmächte. Die
Nordstaaten von Amerika liegen im Krieg mit den Südstaaten, da
Letztere die Gesetze des Nordens zu Klimaverbesserung nicht
akzeptieren wollten, den Verzicht auf fossile Brennstoffe. Columbus in
Ohio, ist die Hauptstadt der Blauen. Aber um die Prohibition des Erdöls
geht es schon lange nicht mehr, es geht nur noch darum, den Krieg zu
gewinnen. Die Roten, die Südstaatler, stellen neben der offiziellen Armee
aber auch diverse Rebellentruppen, die sich nicht an die Kriegsregeln
halten. Junge Menschen, denen man die Familie genommen hatte,
verspüren nun Hass auf den Gegner, sind empfänglich für
Indoktrinierung. Vorsichtig versucht man, ihr Vertrauen zu gewinnen,
alte Patrioten erzählen von damals, schüren Hass, lügen und bilden
sukzessive Terroristen aus. Der Kampf für das Vaterland, gegen das
Böse aus dem Norden, denn Nordstaatler sind Monster ohne Gesicht, die
nur ein Ziel haben, die Menschen im Süden zu killen. Das perfide an der
ganzen Sache ist, diese sogenannten Patrioten haben ein ganz anderes
Szenarium im Kopf. Denn Gleiches treiben sie im Norden gegen den
Süden. Ihr Ziel ist die Zerstörung der Vereinigten Staaten von Amerika,
von innen, um ihre eigene Macht weiter auszubauen. Und sie arbeiten
perfekt mit ihren menschlichen Maschinen, die zu allem bereit sind.
»›Sie nennen sich das 21. Indiana-Regiment‹, erklärte Gaines. ›Eine Miliz,
keine regulären Truppen, aber es kann kein Zweifel bestehen, dass die
Verantwortlichen bei den Blauen wussten, was sie…'‹ – ›Erzählen Sie
mir nichts von denen‹ sagte Sarat. ›Ich will nichts von denen hören. Ich
will nichts über sie lesen, ich will nicht die Namen ihrer Hauptstädte
auswendig lernen oder hören, was sie uns alles angetan haben.‹ –
›Was willst du denn stattdessen tun?‹, fragte Gaines. – ›Ich will sie
töten.‹ Sarat vergrub den Kopf in ihren Händen. Sie sah den leisen Anflug
eines Lächelns nicht, der in diesem Augenblick über die Lippen ihres
Lehrers huschte.«
Der Icherzähler, ein Geschichtsprofessor, erzählt uns die Geschichte
seiner Tante anhand ihrer Aufzeichnung, zu denen er ziemlich spät
gelangte. Er hat Tante Sarat nur als Kind für kurze Zeit erleben dürfen.
Die Familie von Sarah T. Chestnut, genannt Sarat, lebt im ärmlichen
Gebiet nahe des Mississippi, hat ein schmales Auskommen, wollen
eigentlich in den Norden fliehen. Sie leben für heutige Verhältnisse
ziemlich primitiv. Kurz vor der Flucht wird der Vater von Sarat durch die
Blauen getötet. Mutter und Kinder müssen die Heimat verlassen, da die
Blauen anrücken, fliehen in ein Lager weiter im Süden. Und dann erwischt
eine Drohne die Rebellengruppe von Sarats Bruders, der als einziger
überlebt, allerdings mit einem Gehirnschaden. Die intelligente und
raubeinige Sarat verdient sich nebenbei etwas Geld mit gefährlichen
Botengängen für einen alten »Helden«. Dieser Mann steckt dem Mädchen
Leckereien zu, wie echten Honig, den Sarat liebt. Er gibt ihr
Aufmerksamkeit und berichtet über Gräueltaten des Nordens. Das
Mädchen hat keine Chance an reale Informationen zu gelangen und so
glaubt sie die Lügen, die der Mann, den sie verehrt, dem sie vertraut, zu
glauben. Er legt die Saat in ihr, den Feind immer mehr zu hassen.
»Wenn es so weit ist, dann ist es so weit, aber ich werde nicht als Feigling
sterben. Die einzig sichere Arbeit ist Blutarbeit.«
Dieser Mann gibt Sarat ein Gewehr, übt mit ihr, und sie erschießt einen
General des Nordens, der auf der Wachmauer steht. Die Blauen rächen
sich, überfallen das Camp, verüben ein Massaker, bei dem auch die
Mutter von Sarat umkommt. Sarat begreift nicht, dass letztendlich sie für
diese Tat verantwortlich ist. Sie sieht nur die Zerstörung, die Toten, ist
jetzt zu allem bereit. Das Massaker erinnert ziemlich an das
Flüchtlingslager »Camp Sabra Schatila«, in dem 1982 im Libanon eine
solche Tat verübt wurde. Sarat gerät später in die Fänge der Blauen und
landet für Jahre in einem Spezialgefängnis auf einer Insel vor Florida.
Sie wird bestialisch erniedrigt, gefoltert und man kann nicht anders, als
in diesem Knast Guantanamo zu sehen. Seelisch gebrochen und
körperlich zerstört verlässt sie zu Kriegsende das Gefängnis, vegetiert
wie ein Zombie. Aber ihre Mentoren warten schon auf sie, noch größer
ist der Hass, Sarat ist bereit »Großes« zu tun. Sie weiß mittlerweile, dass
sie von Gains und seiner Gruppe lediglich für eigene Zwecke benutzt
wurde. Am Ende zählt aber nur noch ihr persönlicher Hass, gegen die,
die ihr das alles im Gefängnis angetan haben …
»Für Sarat Chestnut war die Rechnung ganz einfach: Der Feind hatte
ihren Leuten etwas angetan, und dafür würde sie nun dem Feind etwas
antun. Anders ging es nicht, das wusste sie. Vergossenes Blut bleibt
vergossen.«
Wie schürt man Hass und trainiert Menschen, noch mehr zu hassen, um
aus ihnen gläubige Kampfmaschinen zu machen? Persönliche
Betroffenheit, eine unsichere Zukunft und Desinformation, der Aufbau
von Lügengeschichten, jeden Tag eine mehr. Es gibt kein Schwarz oder
Weiß, keine Helden. Die kleine Sarat ist ein fröhliches Mädchen, die auf
Grund der Umstände zu einer bösartigen Kampfmaschine mutiert. Die
Familie will am Anfang sogar in den Norden fliehen, weil der Vater dort
Arbeit finden kann. Sarat warnt den Bruder, nicht zu den Rebellen zu
gehen, die würden ihn nur benutzen wollen, zu eigenen Zwecken. Sie ist
schlau genug, das Offensichtliche zu sehen. Sie wird an ihrer
Abenteuerlust scheitern. Der Scout, auf der Suche nach (Terror)Talenten
erkennt, Sarat ist mutig und intelligent, sucht eine Herausforderung. Er
bietet ihr an, als Kurier tätig zu sein, eine gefahrenvolle Aufgabe,
verantwortungsvoll. Sie merkt nicht, das die Freundlichkeit gespielt ist,
die Gaben, die sie erhält, mehr als Lohn bedeuten, man sie zum Essen
einlädt, um ihr Geschichten zu erzählen, Lügen. Stetig lullt man das
mutige Mädchen in das Hassgeflecht ein: Die Sarat, die selbst
entscheidet, sich niemals vor einen Karren spannen lassen würde, wie
ihr Bruder … Postapokalyptischer Horror? Nein, ein ziemlich realer
Roman, wenn wir die Landkarte umdrehen.
»Dies ist keine Geschichte über den Krieg. Es ist eine Geschichte über
Zerstörung.«
Akkad arbeitet als Journalist für den kanadischen »The Globe And Mail«,
schrieb als Kriegsreporter in Afghanistan. Er berichtete aus dem Jemen,
Pakistan, aus Guantanamo. Sicher sind seine Beobachtungen und
Erlebnisse in diesen Roman eingeflossen. Er habe den Roman längst vor
der Wahl Trumps geschrieben. Aber es gibt erschreckende Parallelen.
Der Ausstieg aus dem Klimaabkommen, Trumps Versprechen, Erdöl,
Fracking und Kohle zu unterstützen, die Mauer zu Mexiko, die Spaltung
der Gesellschaft, lässt die Dystopie noch erschreckender wirken.
Die »New York Times« stellt, den Roman in eine Linie mit Cormac
McCarthys »Die Straße« und Philip Roths »Verschwörung gegen Amerika«.
Ein erschreckend gutes Buch.
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