Autorin
Sabine Ibing
»Wozu soll das gut sein? Lasst uns nehmen, was wir bekommen können,
das ist meine Meinung. Fünfzig Jahre in der Zukunft interessieren mich
nicht, darüber lasse ich mir keine grauen Haare wachsen. Die Wälder sind
endlos und unerschöpflich.«
Aus hartem Holz geschnitzt die Menschen, das harte Holz gefällt. Dieser
Roman befasst sich mit der Geschichte der Besiedlung des Nordens
Nordamerikas (um die große Seenplatte herum, USA und Kanada), die
Abholzung der Wälder steht dem Leser vor Augen. Am Anfang werden die
Indianer nur ein wenig zurückgedrängt, später verlieren sie ihren
Lebensraum, denn immer mehr Siedler ziehen nach. Die Indianer waren
ein Wandervolk, das sich von dem ernährte, das die Natur ihnen bot.
Doch irgendwann gibt es immer weniger Biber, Wild, Lachse, Austern,
Hummer, keinen Platz, an den sie sich zurückziehen können. Sie verstehen
die Weißen nicht, die feste Häuser bauen, Land roden, Getreide anbauen,
Bäume schlagen. Noch weniger verstehen sie, warum die Weißen Land
beanspruchen, das ihnen nicht gehört, warum den Indianern nichts
gehören soll, weil sie nichts eingetragen haben in die Ämter des weißen
Mannes, wozu lesen und schreiben gut sein soll.
Annie Proulx sagt, sie habe allein fünf Jahre lang für dieses Buch
recherchiert. Und genauso detailliert und kenntnisreich schildert sie das
harte Leben der ersten Siedler von 1693 bis in die heutige Zeit an Hand
von zwei Familien.
Die Franzosen René Sel und Charles Duquet wandern nach Neufrankreich
(heute Kanada) aus, um ein besseres Leben zu beginnen. Aber es kommt
nicht, wie sie es sich ausgerechnet hatten. Sie haben einen Vertrag mit
einem Großgrundbesitzer geschlossen, der ihre Überfahrt finanzierte,
sollen drei Jahre lang für eine eigene Parzelle arbeiten. René, der brave
und stärkere von den beiden, bleibt und heiratet auch noch die
indianische Mari vom Mi’Kwam-Stamm, die Geliebte seines Dienstherren,
übernimmt deren Kinder, als der Boss sich eine feine Braut aus Übersee
holt. Nach dem Tod der Dienstherren erbt René immerhin ihr Haus. Die
Nachfahren verlieren das Heim gleich wieder, da sich eine weiße
Ziehtochter als Erbe aufspielt, die der gutmütige René aufnahm, nachdem
das Mädchen die Eltern verloren hatte. Der Indianerbagage der Sols steht
nichts zu. Diese Linie wird sich im weiteren Verlauf zu den Indianern
zurückziehen, um die Verdrängung der Stämme zu schildern.
»Die größeren Wildtiere, Elche, Karibus und Bären, hatten sich tief in die
Wälder zurückgezogen. Biber waren seltener geworden, so
unbarmherzig hatte man sie gejagt, denn ihre Felle konnten gegen
Gewehre und Eisentöpfe getauscht werden. Ja, der Biber war eine Art
Geld der Bleichgesichter geworden, und die Sitte, ein Grab mit einem
Biberfell zu bedecken, gab es nicht mehr.«
Charles, ein ausgekochter Fuchs, brutal und verschlagen, kann natürlich
nicht buckeln, die Arbeit ist ihm auch zu anstrengend, macht sich schnell
von dannen.
»… es sei zu kalt zum Bäumefällen. ›An solchen Tagen zerspringen die
gefrorenen Axtschneiden, und man verbrennt sich die Lunge. Danach
spuckt man Blut. Und dann stirbt man.‹«
Charles verdingt sich zunächst als Jäger und Pelzhändler, zieht
Kameraden über den Tisch, merkt schnell, dass mit Holz mehr Geld zu
verdienen ist. Aus Duquet wird bald Duke und wir erleben den Aufbau
eines Holzimperiums. Er heiratet geschäftlich, eine Frau aus den
Niederlanden, fährt bis nach China, um Geschäftskontakte zu knüpfen,
Australien und Neuseeland folgen.
»Auf dem Schiff stank es fürchterlich, obwohl Kapitän Verdwijnen auf die
Pissoirs und die abgeschlossenen Sitzklos der Offiziere mit Ausgang ins
Meer stolz war. Die Mannschaft musste sich auf eine Reihe Löcher hocken,
und die Männer fluchten, wenn die eiskalten Wellen an ihren
salzgeplagten Hinterteilen leckten. – ›Denn von den Portugiesen haben
wir auf diese Weise gelernt, dass man auf diese Weise vermeidet, was sie
bicho do cu nennen, eine schmerzhafte Analentzündung …‹«
Die Geschichten der Familien verdichten sich, wie auch die Abholzung der
Wälder, die Verkarstung der Gebiete. Die Technik schreitet fortvoran, aus
Axt wird Sägeblatt, Sägemaschine. Immer wieder treffen Rückschläge das
Dukeimperium.
»›Es geht nicht nur um den Diebstahl‹, sagte Freegrace. ›Mit ihren
Lagerfeuern stiften sie viel Unheil und verursachen Waldbrände. Manche
von ihnen entfachen absichtlich Feuer am Rand guter Holzbestände und
sichern sich dann hinterhältig den wertvollen Baumbestand für einen
Apfel und ein Ei. Und die verdammten dämlichen Siedler roden ihre
elenden Grundstücke nach Gusto mit Feuer, und bei Trockenheit breitet
das Feuer sich aus und verzehrt unsere Wälder.«
Anfangs werden die abgeschlagenen Bäume im Fluss transportiert, was
verheerende Folgen für die Natur hat, später kommen Eisenbahn und
Schiffe dazu. Das Leben ist hart, es gibt viele Tote. Arbeitsunfälle stehen
an der Tagesordnung, aber auch Krankheiten schlagen zu, insbesondere
unter den Indianern, deren Immunabwehr nicht gegen die
eingeschleppten Krankheiten der Weißen gewappnet ist. Holzhandel über
die ganze Welt, Schiffsplanken, -masten, Kriegsmaterial, Möbel, der
Bedarf nach Holz ist auf der gesamten Welt groß, Bäume fallen im
Sekundentakt, ohne Rücksicht auf die Natur. Das Einzige was zählt, ist
Profit.
»Sie sind wie Tiger, die Blut geleckt haben. Und wie Tiger geben sie ihre
Gier nach Land an ihre Kinder und Kindeskinder weiter, die ihrerseits
glauben, sich an den Schätzen dieses reichen Landes nach Belieben zu
bedienen.«
In Europa ist man schon weiter, wie ein Nachfahre berichtet, der von
einem Duke nach Amerika geholt wird. Dort hat man erkannt, Wald ist
großes Gut für das Ökosystem, es gibt Gesetze zur Aufforstung und
Waldpflege. Aber davon will niemand in den USA etwas wissen. Wir
erleben New York, Chicago, Boston, aus Holzhütten werden Städte, wir
lernen die Tücken der großen Seen kennen.
»Bei ihrem langen Spaziergang durch die geschäftigen Straßen, die
Pferdedung knöchelhoch bedeckte, wichen sie Dutzenden von Schweinen
aus, sahen ein Podest, das als Schauplatz des Sklavenmarkts galt, eilten
am Gestank von Viehpferchen und Schlachthöfen vorbei, neben denen
sich Tiermist häufte. James betete, dass es nicht regnen würde und es
ihnen erspart bliebe, durch flüssige Scheiße zu waten.« (NY)
300 Jahre auf 900 Seiten, viele Generationen und Verästelungen der
Familien. Keine Angst, der Leser kann wunderbar folgen. Aber wer hier
tiefe Figurenzeichnung erwartet, ist falsch, das kann ein solcher Roman
nicht fassen. Selbstverständlich verfolgt der Leser die Familienzweige, es
sterben reihenweise Menschen und beide Familien erleiden Rückschläge,
rappeln sich auf, ihre Spuren verknüpfen sich immer wieder. Mir ging es
so, dass mir kein einziger der Protagonisten sympathisch war, muss er
auch nicht. Je weiter der Roman voranschreitet, umso kürzer lernen wir
die Personen kennen. Der Hauptprotagonist ist der Wald, der Antagonist
der Mensch! Die Abholzung, die Zerstörung der Natur, wird zum Ende hin
weltweit, beschrieben. Der Roman ist ein Aufschrei des Waldes, ein
Aufruf, die Natur zu schützen. Ein wunderbarer Roman, der lange
nachhallt.
»Das größte Übel ist die Verschwendung. Nur ein winziger Bruchteil des
stehenden Waldes wird jemals zu Nutzholz – der Rest wird verbrannt
oder zurückgelassen. Mein Gott! … Das ist die wahre amerikanische
›Freiheit‹!«
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Rezension
Aus hartem Holz
von Annie Proulx