Autorin
Sabine Ibing
Der Anfang: »Eine Stadt hat niemals nur eine einzige Geschichte, sondern
immer eine ganze Chronik voller Darstellungen mit unterschiedlichen
Helden. Doch die meisten Erzähler glauben, dass nur ihre Version die
richtige ist und nur sie die einzig wahren Helden sind.«
Dieses Jugendbuch handelt in einem fiktiven New York, ein paar Krümel
Fantasie sind eingestreut, unterschwellig, kaum wahrnehmbar, aber
letztendlich wichtig. Die Geschwister Morningstar aus diesem New York
waren 1855 intelligente Architekten und Erfinder. Sie bauten viele
extravagante Hochhäuser. In einem dieser Häuser wohnen die Zwillinge
Tess und Theo und ihr Freund Jamie. Ein Immobilienhai kauft die Häuser
der Morningstar Geschwister auf und kündigt nun alle Mieter, die Häuser
sollen abgerissen, durch Elegantes ersetzt werden. Die Kinder wollen
das verhindern, indem sie nach einem geheimnisvollen Code suchen. Seit
150 Jahren versuchen die New Yorker und ein dazu gegründeter Club,
die »Rätsel- und Codistengesellschaft«, den geheimnisvollen
Schattencode der Morningstar Sisters zu entschlüsseln, der überall in
der Stadt an und in den Gebäuden versteckt ist. Die Morningstars waren
damals von einen Tag auf den anderen verschwunden. Tess, Theo und
Jamie folgen nun in detektivischer Kleinarbeit den Hinweisen zum Code.
Dabei müssen Sie viele Rätsel lösen.
»Er stellte sich vor die Mikrowelle, um die Strahlen zu absorbieren,
kitzelte Spinnen in der Hoffnung, dass sie ihn beißen würden, er kaute
Minz- und Lorbeerblätter um gegen Gifte immun zu werden, baute mit
einem Sieb seiner Großmutter in bester X-Men-Manier sein eigenes
Cerebro, er suchte den nächtlichen Himmel ab, damit ihn Green Lantern
finden würde, oder vielleicht sogar der Grüne Kobold.«
Die Charaktere sind fein gezeichnet, Gut und Böse klar getrennt. Theo,
ein Intelligenzbolzen, wirkt das ein oder andere Mal wie ein menschlicher
Google, nervt altklug, aber mit Charme. Tess ist der Organisator des
Trupps, sie findet Ordnung im Chaos. Ihre Katze Nine geht an der Leine,
knurrt, eine Mischung zwischen Hund und Wildkatze. Nine steht auf
Socken, die sie sammelt. Ein Zeichner mit fotografischem Gedächtnis,
Skizzenbuch immer dabei, ein anderer technisch begabt, sein Handy
dabei, der Fotograf, jeder im Team hat seine Talente und seine Macken.
Leicht überzeichnet, aber glaubwürdig und darum liebenswert,
Protagonisten, denen man gerne folgt. Großstadtabenteuer, auf der
Suche nach dem Code zur Freiheitsstatue, zum Friedhof, in
Undergroundgewölbe, erlebt der Leser einen Teil von New York und
seine Geschichte. Warum heißt die Figur Freiheitsstatue? Warum wurde
sie gebaut?, Gründerväter der USA, George Washington, einiges wird
erklärt.
»Die größte Menschentraube stand um Alexander Hamilton ins Grab
herum, und zwar nicht nur, weil er einer der Gründungsväter der USA
und der Stabschef von George Washington gewesen war, sein Gesicht
den zehn Dollar Schein zierte und er dumm genug gewesen war, sich bei
einem Duell mit dem Vizepräsidenten erschießen zu lassen, sondern weil
seine Gedenkstätte ziemlich groß und ansehnlich war.«
Atmosphärisch dicht, sprachlich niveauvoll, lange Sätze, hochkomplex in
der Konstruktion, mit viel Geschichtsinformationen lassen die Erzählung
manchmal ein wenig sperrig wirken, langatmig abschweifen. Die
Geschichte an sich könnte man mit zehn Jahren lesen, doch die Dichte
der langen Sätze und anspruchsvollen Satzkonstruktionen gefüllt mit
Informationen würde die meisten Zehnjährigen überfordern, die
Empfehlung ab 12 Jahren ist korrekt. Der Roman befasst sich mit Rätseln
aus der Kryptologie und ist eher für einen ambitionierten Leserkreis
gedacht, Jungen wie Mädchen finden Identifikationsfiguren. Ich
empfehle dieses Buch aus pädagogischer Sicht Jugendlichen, die gerne
lesen und knobeln, Durchhaltevermögen beim Lesen mitbringen,
Lesekompetenz. Das Ende ist offen, hat mich ein wenig enttäuscht. In der
Kinder- und Jugendliteratur erwarte ich einen Abschluss zur
emotionalen Befriedigung. Dies Buch scheint der Auftakt zu einer Serie.
Aber auch in einer Serie kann man jede Episode geschlossen enden
lassen.
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Rezension
Chroniken von York
Die Suche nach dem Schattencode
von Laura Ruby
(Jugendbuch ab 12 Jahre)