Autorin
Sabine Ibing
»Der erste Reiter hat die Tyrannei gebracht, der zweite den Krieg«
Fangen wir mit dem Guten an. Wirklich ausgezeichnet ist die
Nachkriegswelt des 1. Weltkriegs in Wien dargestellt, Gasthöfe und Cafés,
die es heute nicht mehr gibt, ebenso das Café Central, das immer noch
existiert. Bekannte Plätze, das Logierhaus Bienenstock, Professor Albin
Haberda, der die Gerichtsmedizin damals leitete. Wien, 1919, geprägt von
Arbeitslosigkeit, Hunger und Not, einer ausgebrannten Wirtschaft,
Bürger, die hoffen, ins ersehnte Amerika auswandern zu können. Die
Ausdrücke der Zeit prägen die Sprache im Buch. Genau das hat mich
fasziniert und bis zum Ende aushalten lassen. Fein säuberlich
recherchiert, bis ins soziale Milieu hinein.
»Die Männer des Polizeiagentenkorps waren auf die zweiundzwanzig
Bezirkskommissariate des Sicherheitswachekorps aufgeteilt, da sie direkt
mit den uniformierten Ordnungshütern zusammenarbeiteten.«
Nun kommen wir zum Krimi. Rayonsinspektor im 22. Bezirk, August
Emmerich, ermittelt zusammen mit seinem Assistenten Winter in einem
Mordfall, an einem Soldaten, der zunächst wie ein Selbstmord aussieht.
Durch die gelb gefärbte Zunge des Toten, der gefärbten Eiersatz in
einem Restaurant zu sich nahm, kommen sie auf dem nächsten Mord auf
die Spur, der wieder als Selbstmord getarnt ist. Und das wird nicht der
letzte Mord in dieser Serie bleiben. Aus den Jägern Emmerich und Winter
werden zum Ende Gejagte, die Polizisten haben ihre Nase in Dinge
gesteckt, die sie nichts anzugehen haben. Das könnte eine spannende
Geschichte werden. Leider zieht sich der Plot in einer Nulllinie, erst die
letzten 50 Seiten nimmt die Story Fahrt auf. Immer wenn man als Leser
denkt: Jetzt geht es los … ist die Spannung wieder auf Null. Ein Buch, das
man gern zwischendurch weglegt, weil es auf der Stelle tritt.
Am Anfang hatte ich Probleme mit der Sprache, die zu Beginn recht
hölzern daherkommt, auch Metaphern, die schmunzeln lassen, Wörter
die schlicht fehlen, Tippfehler (wenig, fällt aber in der Kombination auf).
»Winter hatte große, strahlend blaue Augen, glänzendes blondes Haar,
eine makellose Haut und weiche Hände.«
Aber es wird besser, warum nicht gleich so? Gelungen ist für mich die
gesellschaftliche Darstellung der Zeit. Die Monarchie ist abgelöst, es
herrscht Frieden. Neben dem Krieg ist die spanische Grippe über das
Land gezogen. Es mangelt an allem, der Schwarzmarkt blüht. Trotz Arbeit
hungern und frieren die Menschen, sterben am Mangel. Gut gezeichnet
ist die Hauptfigur August Emmerich, ein Kriegsveteran, der nicht nur
körperlich an seiner Kriegsverletzung leidet. Er ist ein Antiheld, aber ein
Stehaufmännchen. Oft genug lässt er sich von seinen Herointabletten
betäuben, nicht nur um den Schmerz im Bein zu vergessen. Emmerich
wird obdachlos, als plötzlich der vermeidlich im Krieg gestorbene
Ehemann seiner Lebenspartnerin Luise vor der Tür steht. Endlich haben
diese zwei einen passenden Partner gefunden, den man innig liebt, da
funkt ein Ekel dazwischen. Mal schläft Emmerich bei Winter, mal im Büro,
mal bei einer Hure oder in irgendeinem Loch. Immer wieder bekommt er
etwas auf die Nase, landet im Dreck, aber Emmerich ist zäh. Alex Beer
konzentriert sich sehr auf das historische Geschehen, Beschreibung der
Gesellschaftsstruktur, Nachkriegswehen, Milieu. Und weil sie das so gut
und intensiv macht, leidet die Story. Der Plot ist nicht an allen Stellen klar,
verliert sich und damit verliert die Spannung und Logik. Wer einen Krimi
erwartet, wird enttäuscht sein. Wer gern Historisches liest, sich für das
Nachkriegs-Wien interessiert, der wird hier garantiert fündig werden. Mit
ein wenig gutem Willen, wenn es ein bisschen mehr Spannung hätte,
würde ich den Krimi in hard-boiled, noir, einsortieren. Ich mag Emmerich,
er hat Potenzial.
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Rezension
Der zweiter Reiter
von Alex Beer