© Sabine Ibing, Lorib GmbH         Literaturblog Sabine Ibing
Autorin Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben Historische Romane Rezension Die Siechenmagd von Ursula Neeb »Niemand geht zur Beisetzung eines Henkers!, sinnierte Meister Hans bitter. ... Durch die Berührung mit dem Schwert eines Herrschers konnte so die alte Unehrlichkeit vom Henker genommen werden. Er durfte sich dann ein anderes Handwerk wählen, dass aber immer unter den unehrlichen Berufen angesiedelt sein musste, denn die Aufnahme in eine rechtschaffene Zunft konnte ein ehemaliger Henker niemals erlangen.« Ursula Neeb entführt uns nach Frankfurt ins 16. Jahrhundert. Wer Frankfurt kennt, fühlt sich durch die alten Gassen begleitet, wunderbar beschrieben, lernt man, was es mit dem Gutleutviertel auf sich hat. Strenge Sitten und Bräuche teilten die arbeitende Bevölkerung in ehrliche und unehrliche Schaffende ein. Die Ehrlichen wären allerdings ohne die Unehrlichen in ihrem Dreck versunken. Es sind Menschen, die den Schmutz und andere unangenehme Dinge entsorgen, Berufe mit wenig Ansehen, die die in den Außenbezirken der Stadt wohnten. Maria, genannt Mäu, ist die Tochter des Abdeckers. Er sammelt wilde Hunde von der Straße auf, tötet sie und zieht ihnen das Fell ab, macht daraus Handschuhe. Auch reinigt er unter anderem die Kloaken der feinen Bürger, holt die Toten vom Galgen, begräbt sie außerhalb der Stadt. Für jede Arbeit zieht er einen anderen Kittel an, damit man den Unreinen erkennt. Arbeitszeiten sind vorgeschrieben, der Bürger möchte nicht belästigt werden. Die Familie wohnt im Galgenviertel, das Viertel der Unehrlichen, Tante von Mäu ist eine Hübscherin, eine Hure. Die Mutter arbeitet auf dem Gutleuthof als Siechenmagd, der von den Spenden der Reichen finanziert wird, auf dem Lepröse weggesperrt werden. Auch Begüterte können von der Krankheit befallen werden. Sie haben dort die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, ein behagliches Lebensende zu führen, allerdings ausgeschlossen von der Gesellschaft. Ob Arm oder Reich, auf dem Siechenhof ist man unter sich, Brüder und Schwestern. Wer Geld hat, kann sich Bedienstete leisten, Medikamente, üppiges Essen, Wein und alle Annehmlichkeiten, die er sich kaufen kann. Ein mächtiger Herr zieht ein und die Mutter holt Mäu auf den Gutleuthof, damit sie für den Mann als Siechenmagd dienen kann. Guter Lohn, feines Essen und beim Ableben des Herren winkt eine vorteilhafte Abfindung. »Seine Leute, die zu Hause in seinem behaglichen Stadthaus saßen, sich wohlergehen ließen und die reichen Früchte seines Geschäfts ernteten, das er durch ein Leben voller Arbeit zum Blühen gebracht hatte, sollten es jedenfalls nicht bekommen! Für sie galt er als tot, verbannt ins Reich der Toten, weit abgesondert von der Welt der Gesunden.« Mäu hat die Wahl: Einen ekelhaften Tölpel zu heiraten, den der Vater ausgesucht hat, um das Geschäft des Alten zu übernehmen oder als Magd für einen Leprakranken zu arbeiten. Beides schmeckt ihr nicht, sie hat andere Ziele, Träume. Was bleibt ihr aber anderes übrig? Sie beginnt ihren Dienst als Magd, doch der reiche Kaufmann kann die Finger nicht von dem hübschen Mädchen lassen. Mit viel Sachkenntnis bringt uns die Autorin das mittelalterliche Leben nahe. Berufe, Sitten und Gebräuche, das alltägliche Leben in einer Stadt wird authentisch geschildert. „Strafe Gottes“, wie man die Lepra nannte, war in Europa damals weitverbreitet. Wer mit dem Aussatz befallen war, wurde expatriiert. Bis heute ist die Ursache der bakteriellen Krankheit unbekannt und auch die Heilung nicht immer gewährleistet. Die Autorin schildert nicht nur, wie es in einem solchen Siechenheim zuging, sondern auch, wie man sich als Aussätziger fühlt, verbannt aus der Gesellschaft, von der eigenen Familie verstoßen. Plastisch geschildert, sieht man die Figuren des Romans vor sich: Reiche Kaufleute, Bettler, fahrende Händler, Gaukler, Hübscherinnen, den Angstmann (Henker) oder den Bettlervogt, der offiziell dafür sorgen musste, dass nur die bettelten, die nicht mehr arbeiten konnten und nicht arbeitsscheues Volk. Besonders ausführlich beschreibt Ursula Neeb die unehrlichen Berufe, ihre Stellung in der Gesellschaft, ihre harte Arbeit. Korruption, Bestechung, wer Geld hat, kann sich einiges leisten, dem wird geglaubt. Marktgeschehen ist glaubwürdig dargestellt, man kann die Gerüche förmlich aus dem Buch herausriechen, wie auch andere unangenehme Düfte. Die Sprache ist authentisch dem Mittelalter angelegt, in angemessenem Tonfall, gespickt mit zeitgemäßen Ausdrücken. Endlich mal ein Buch, das sich mit der realen Zeit befasst und der Leser sicher Dinge erfährt, die ihm vorher unbekannt waren. Aus diesem Grund sticht der Roman positiv aus allen Mittelalterromanen hervor. Aber nicht nur das. Die Autorin zeigt schonungslos das Rechtsgebaren zu dieser Zeit. Recht und Ordnung existieren, werden aber unterwandert durch Standesdünkel, Bestechung, Missachtung. Klar werden Gesellschaftsstrukturen aufgezeigt und bitter stößt das von vielen verehrte Mittelalter auf. Klare Linien der Wohnorte, Berufe und damit sich nichts ändert, darf niemand nach »oben« heiraten. Neeb zeigt die Gerichtsbarkeit auf, die Executive, die haarsträubenden Zustände in den Gefängnissen. Zu gleicher Zeit hatten Gefangene in England das Recht des täglichen Ausgangs auf dem Hof, anständiges Essen, ein Wannenbad pro Woche, ärztliche Behandlung, eine Hängematte zum Schlafen. Revidiert man die Verhältnisse in Deutschland zur zeitgleich, läuft es dem Leser eiskalt über den Rücken. Wer eine Schmonzette erwartet wird enttäuscht sein, denn dieser ordentlich recherchierte Roman zeigt schonungslos die Realität des Mittelalters und daher meine Leseempfehlung für alle Geschichtsfans. zeitgenössische Romane Krims und Thriller Historische Romane Fantasy, Fantastic, SciFi, Utopien Dystopien Sachbücher (für jedermann) Kinder- und Jugendliteratur