Autorin
Sabine Ibing
»Die meisten von uns führen ihr Verderben recht zuverlässig selbst
herbei. Rachsüchtige Fabelwesen haben es nur auf ganz bestimmte
Menschen abgesehen, auf jene, die aus unerfindlichem Grund nicht nur
mit Reichtum und Talent beschenkt wurden, sondern auch mit einer
Schönheit, die die Vögel aus den Bäumen scheucht; und obendrein sind
sie so anmutig, gütig und charmant, als wäre es das Normalste von der
Welt. Wer bekäme nicht Lust, solchen Menschen fertigzumachen?«
So der Autor zu seinem Buch. Zunächst hört sich die Sache banal an:
Nimm ein Grimms-Märchen, schreibe es in die heutige Zeit und drehe
dabei Gut und Böse um. Eine typische Aufgabe aus der Schulzeit im
Deutschunterricht. Nun schreibt diese neuen Märchen aber nicht
irgendwer. Es ist Michael Cunningham, der bekanntermaßen ein
großartiger Erzähler ist.
»Im Grunde ist es die Einsamkeit, die dich irgendwann umbringt. Vielleicht
weil du dir dein Ende immer so viel größer und spektakulärer vorgestellt
hast.«
So beginnt die Geschichte »Die verrückte Alte«. Geraten, was
dahintersteckt? Hänsel und Gretel selbstverständlich. Die Alte Frau, die
immer etwas freakig war, sich nicht um Regeln scherte, baut sich im Wald
ein Lebkuchenhaus, hofft, junge Leute finden das cool, kommen hierher.
In jungen Jahren hat sie sich um nichts geschert, Familie, Männer,
Freundschaften, sie hat keine Kinder und heute keine Freunde. Und nun
trifft sie die Einsamkeit mit Wucht. Hänsel und Gretel sind weder
ausgesetzt, noch ängstlich, zwei gepiercte und tätowierte Jugendliche,
egozentrisch, gewissenlos. Oder nehmen wir die Frau, die einen
verwitweten König heiratet, mit dem sie gleichzeitig 12 Söhne und eine
Tochter verpasst bekommt. 12 Jungs, ein großer Teil im pubertierenden
Alter, gerade die Mutter verloren, einen Vater, der sich nur um seine
Geschäfte kümmert, die junge Frau ist verzweifelt, wird ihrer neuen
Aufgabe als Mutter von fremden Kindern nicht Herr, verwandelt in der
Wut über deren Frechheiten die Jungs in Schwäne … Irgendwann haben
sie ihre Gestalt zurück, nur der eine behält einen Schwanenarm,
behindert, diskriminiert, ein armer Wicht, nicht glücklich aber auch nicht
so unglücklich wie »der Frosch mit dem Krönchen, der die Frauen, die ihn
küssen wollen, einfach nicht lieben kann und der Prinz, der jahrelang
nach der komatösen Prinzessin gesucht hat, die er wachküssen soll.«
Und die Geschichte mit Hans, der eine Kuh gegen Zauberbohnen
eintauscht, der Depp. Und doch, sie wachsen in den Himmel. Dort beklaut
er den Riesen, während dessen Frau seelenruhig zusieht, ihn anlügt. Zu
lange verheiratet?
»Gehen wir einfach von einem unbewussten Einverständnis zwischen den
Eheleuten aus. Er weiß, dass sie nicht ehrlich ist. Er weiß, dass sie etwas
oder jemandem vor ihm versteckt. Aber möglicherweise wünscht er sich
eine Partnerin, de zur Lüge fähig ist. Eine Frau, die mehr vom eben
erwartet als Hausarbeit und spießige, sterbenslangweilige Treue.«
Manchmal fragen wir uns in den Märchen: Warum machen die das?
Michael Cunningham geht tief hinein in seine Figuren. Abgründe tun sich
auf. Sarkastisch und manchmal brutal zeigt er uns, was in den alten
Märchen tiefgründig verborgen liegt. Hier wird nichts gut am Ende.
Wehe, dir schenkt jemand drei Wünsche! Sie gehen in Erfüllung, doch die
Folgen, die dein Wunsch mit sich bringt, werden dich nicht glücklich
machen. Elf moderne Märchen, elfmal eintauchen in die wundervolle
Sprache von Cunningham, von einem der auszog, uns das Gruseln zu
lehren.
Der japanische Yuko Shimizo bereichert die Geschichten mit seinen
schwarz-weißen Illustrationen. Der amerikanische Autor Michael
Cunningham wurde für seine Romane und Erzählungen bereits mit dem
Pulitzerpreis und dem PEN/Faulkner Award ausgezeichnet.
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Rezension
Ein Wilder Schwan
von Michael Cunningham