Autorin
Sabine Ibing
Dieses Buch und ich fanden erst im 3. Anlauf zueinander, aber
dann richtig. Anfangs habe ich es nach ein paar Seiten zweimal
weggelegt, weil es mir zunächst wie oberflächliches Geplapper
vorkam. Ein paar Seiten weiter war ich versöhnt. Zugegeben, der
Stoff ist schräg, noch mehr der Schreibstil, sehr humorvoll, da wir
uns mit dem Tod beschäftigen. Das Buch ist amerikanisch, locker
wird über Dinge referiert, die dann plötzlich wie die Faust ins
Gesicht treffen, insbesondere, wenn man eine gute Vorstellung
über sein Geruchsempfinden besitzt. Achtung! Wer zart besaitet
ist, sollte nun nicht weiterlesen und schon gar nicht seine Nase in
dieses Buch stecken!
Caitlin Douhthy arbeitet nach ihrem Studium in einem
Bestattungsinstitut. Zunächst lernt sie, Leichen ordentlich
herzurichten, später darf sie auch im Krematorium mitarbeiten. Die
amerikanische Bestattungsindustrie hat einen anderen Ritus als
Europa. In den USA wird am offenen Sarg Abschied genommen,
Zeremonien, die über Tage gehen, Verwandte, die von weither
anreisen. Darum muss die Leiche nach Tagen noch appetitlich
aussehen. Tote, die ein paar Tage zu Hause lagen, Selbstmörder,
grüne Wasserleichen, alle sollen ansehnlich und vorzeigbar
aussehen, riechen. Wir erfahren, dass Übergewichtige gleich
morgens verbrannt werden, da sie besonders stinken, denn
Bakterien lieben Fett. Verwesungsstadien werden erklärt, hier
aber keine Zitate zu pastell- bis neonfarbenen Leichenflecken-
und Krusten von mir: selbst lesen.
»Im Grunde genommen handelt es sich bei Science Support um
einen Zwischenhändler, der intakte Spenderleichen annimmt,
weiterverkauft, so ähnlich, wie es ein Schrotthändler mit Autos
macht.«
Das Geschäft mit dem Tod wird angesprochen. In den USA ist eine
Bestattung extrem teuer. Wer kein Geld hat, verkauft den Toten an
eine Firma, die an wissenschaftliche Institute weiterverscherbeln.
Die Aufbewahrung mit Formaldehyd ist nicht nur aufwändig und
teuer, dazu kommt Präparation und Schminke. Augenhöhlen und
Mund werden ausgestopft, mit Sekundenkleber gehalten. Es wäre
schrecklich, wenn dem Toten ein Lid aufklappte, die Angehörige in
milchige Augen blicken. Mit den verschiedenen Chemikalien zu
hantieren ist für den Bestatter nicht ganz ungefährlich.
»Die Wari` praktizieren vornehmlich Endokannibalismus, was
bedeutet, dass sie rituell die Körperteile verstorbener Verwandter
und Freunde verzehren.«
An vielen verschiedenen Stellen erfahren wir etwas über
Bestattungsriten anderer Kulturen. Einige, noch heute praktizierte
Riten, haben Auswirkungen. In Indien werden Tote gern im heiligen
Ganges beigesetzt, sodass die Regierung Tausende von
fleischfressenden Schildkröten im heiligen Fluss aussetzte, damit
sie die Überreste der Toten entsorgen.
»Der italienische Arzt Bernadino Ramazzini hat die unhaltbaren
Zustände so beschrieben: ›In der Kirche gibt es eine Unzahl von
Gruften; zudem werden sie so häufig geöffnet, dass man diesen
entsetzlichen Gestank unablässig in der Nase hat. Und auch
Weihrauch, Myrrhe und sonstige Wohlgerüche können nicht
verhindern, dass sich den anwesenden schlicht der Magen
umdreht.‹« (Mittelalter)
Wir erfahren auch viel über unsere eigene Kultur, das
Christentum, über unseren Bestattungsritus, über alte Traditionen,
über die amerikanische Kultur. Die chemische Konservierung von
Leichnamen kam in den USA während des Bürgerkriegs in Mode.
Gefallene Soldaten mussten nach Hause transportiert werden, wo
sie ein paar Tage zur Ehrenwache aufgebahrt wurden. Totenwache
war allgemein keine traurige Angelegenheit: Speis, Trank, Musik
und Kartenspiele gehörten dazu.
»Obgleich der Funke erloschen war, der den Verstorbenen einst
beseelt hatte, verlangten es die Konventionen, dass ihm von den
Lebenden Respekt gezollt wurde.«
»Im Jahr 1231 verbot das Konzil von Rouen das Tanzen in Kirchen
und auf Friedhöfen.« Man traf sich dort, ging spazieren, es wurde
Handel getrieben, gefeiert. Dougerty mahnt, sich mit dem Tod
auseinanderzusetzen, mit dem eigenen, mit dem von Angehörigen,
sich selbst zu überlegen, welche Wünsche man für seine
Bestattung hat, dies vorzubereiten. Immer wieder träfe sie auf
Menschen, die den Tod verdrängen.
»Wir konnten ja nicht ahnen, dass sie so plötzlich von uns geht.
Schließlich war sie erst ein halbes Jahr im Hospiz.«
Doughty möchte die Menschen zu einem normalen Umgang mit den
Toten aufrufen, wie es früher war. Es geht nicht um
Beerdigungskitsch und teure Särge, sondern um Rituale. Sie würde
es begrüßen, wenn Angehörige selbst ihre Toten waschen und
anziehen, sofern sie dafür bereit sind. Auch plädiert sie an Kranke
und deren Angehörige, loslassen zu können. Sie lässt einen Arzt zu
Worte kommen, der die meisten lebensverlängernden Maßnahmen
als schmerzhaft und unwürdig beschreibt.
»Indem wir den Tod außen vor lassen, mit unseren Angehörigen
nicht über die Regelung ihrer Angelegenheiten, Patienten- und
Bestattungsverfügungen sprechen, tagen wir zu einer solchen
Zukunft bei.«
Hier geht es überfüllte Altenheime, in denen die Alten nur noch in
den Tag dahindämmern, würdelos. Dies Buch ist eine scharfsinnig,
substanziierte Analyse unseres gesellschaftlichen Umgangs mit
dem Tod, trotz des flapsigen Tons. Bericht aus dem
Bestattungswesen, medizinisch-biologische Vorgänge gut erklärt,
historische und kulturelle Erläuterungen, ethische Gedanken und
der Tod als Wirtschaftsbereich, ein kompaktes Wissen, miteinander
verwoben, ein hochinteressantes Buch. Der Tonfall ist heiter, aber
immer respektvoll den Toten gegenüber. Ein schräges Buch, das
gute Nerven und einen resistenten Magen voraussetzt. Lieber
beim Lesen einen Whiskey hinstellen, als Kaffee und Kuchen. Wer
aber bereit ist für Naturwissenschaft und soziokulturelle
Geschichte, der wird hier interessante Dinge erfahren.
P.S.: »Ihre Füße gingen plötzlich in herrlichem granatroten
Flammenbändern auf, ohne Rauch und eifrig leckend wie die
Feuerzungen, die zu Pfingsten auf die Apostel herabkamen. Und
als der Sarg ganz hineinglitt, erfassten ihn die Flammen vollends,
und meine Mutter wurde selbst Teil des wunderbaren Feuers.« –
Nein, nicht aus diesem Buch! Bernard Shaw schrieb 1913 diese Zeilen
nach der Kremation seiner Mutter.
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