Autorin
Sabine Ibing
Der erste Satz: »Als man ihm sagt, dass alles in Ordnung ist – keine
Auffälligkeiten, nichts Besorgniserregendes – für sein Alter tipptopp -, da
empfindet er neben der Erleichterung eine geheime Enttäuschung.«
Herr Katô ist Führungsmitglied einer Firma, muss den Stab weitergeben.
Er geht mit 60 Jahren in Rente. Bis dato voll beschäftigt, immer ein Ziel
vor Augen, liegt vor ihm das Nichts. Er gibt sich den Anschein eines Ziels,
geht stundenlang spazieren. Aber was soll er nun mit seinen Händen
anfangen?, »er fühlt sich wie ein davongelaufener Affe«. Seiner Frau,
einer Hausfrau, steht er im Weg, sie hat Glück, wird nie ihren Job
verlieren. »Retired-Husband-Syndrome, RHS«, so lerne ich, aufgrund der
starken Einbindung des Ehemannes ins Berufsleben verliert dieser die
notwendigen Sozialkompetenzen, um sich bei Renteneintritt wieder in die
Familie zu integrieren. Entfremdung in der Ehe durch Abwesenheit. Der
Traum vom Motorrad, mit dem er lange Touren unternehmen will, wie er
vor der Pensionierung vor den Kollegen prahlt, wird nicht mal
ansatzweise weitergesponnen, schon gar nicht umgesetzt. Eines Tages
trifft Herr Katô eine junge Frau, die eine Agentur besitzt, »Happy
Familiy«. Sie bietet ihm einen Job an. Er spielt nun stundenweise
Familienmitglied: Spielt Opa, damit ein Kind einmal im Leben seinen Opa
kennenlernt (der eigentlich ein farbiger Amerikaner ist), spielt den
Ehemann, der sich anhört, was sie zu sagen hat, ihm die Meinung sagen
kann, ihm die Scheidung an den Kopf werfen kann. Der reale Mann war
klammheimlich abgehauen. Herr Katô spielt den Verwandten, der auf
einer Fake-Hochzeit eine Rede hält. Alle diese Jobs haben wiederum
indirekt mit Herr Katô selbst zu tun, in jedem Auftrag erkennt er einen
Teil seines eigenen Lebens.
»›Die Ehe‹, sagt Chieko, ›gleicht dem Bauch eines Wals. Man sitzt im
Dunkeln und weiß, der andere sitzt nur wenige Meter weit entfernt. Man
ruft, er ruft zurück. Aber egal, wie man es auch anstellen mag, ob man
einfach nur dasitzt und lauscht oder sich auf den Weg macht, sich an
den Gedärmen entlang tastet, man findet einander nicht, und was man
teilt, ist alleine die Dunkelheit.«
Das Unglück, beschäftigungslos zu sein, das Unglück einer entfremdeten
Ehe, Milena Michiko Flaðars spricht hier ein gesellschaftliches Problem
an. Ein feines, kleines Buch, komprimierte Sprache, Protagonisten, die es
aber in sich haben. Ein schmaler Roman mit viel Inhalt, vieles, das uns
nachdenklich macht. Man fragt sich, warum die österreichische
Schriftstellerin sich Japan für das Setting ausgewählt hat. Ihre Mutter ist
Japanerin und sie hat einen Bezug zu diesem Land. Sie sagte in einem
Interview, Japan sei ein Trendland und Agenturen, die »Freunde und
Verwandte« vermieten sei gerade ein Hype. Großeltern, Partygäste, ein
Vater, der am Fußballfeld dem spielenden »Kind« zujubelt, Freunde, die
mit einem auf Instagramfotos posieren, rent a friend, andere sollen
nicht erfahren, wie einsam ich bin, das Bild einer schrecklichen
Gesellschaft.
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Rezension
Herr Katô spielt Familie
von Milena Michiko Flaðars