Autorin
Sabine Ibing
Der erste Satz: »Jemand schnitt ihm die Kleider in Streifen vom Leib.«
Kommissarin Lopez holt den Kollegen Viktor Saizewe aus dem
Krankenhaus, der dort eigentlich noch drei Wochen verbringen
müsste und danach noch eine Weile krankgeschrieben wäre. Viktor
ist außerdem suspendiert (krankgeschrieben, suspendiert?). Sie
fahren zu einem Ort, an dem es gebrannt hat. Eine schwangere
Frau ist Opfer des Feuers. War sie am falschen Ort zur falschen
Zeit, wurde sie getötet oder nach der Tötung angezündet? Wann
weiß es noch nicht. Viktor, riesig, massig, von russischer Herkunft,
wo er hinschlägt, wächst kein Gras mehr, eine dunkle Aura umgibt
ihn anscheinend, denn dem Leser wird erklärt, dass andere vor
Viktor Angst haben, wenn er den Raum betritt. Viktor befand sich
seit einem halben Jahr im Krankenhaus, da ihm ein Gehirntumor
entfernt wurde (halbes Jahr?). Schaurige Narben befinden sich auf
seinem Kopf, die Leute erschrecken noch mehr. Warum Lopez
jemanden aus dem Krankenhaus holt, um einen Brandtatort
anzusehen, wird nicht ernsthaft geklärt (Sie braucht seine Sicht?). Es
geht weiter ins Präsidium, wo Viktor spät abends mit Hallo und
Willkommensplakaten von vielen Kollegen empfangen wird. (Wo
kommen die am Wochenende um die Uhrzeit her?) War er nicht
suspendiert und krankgeschrieben(eins davon geht ja nur)? Der
Chef wird als harter Knochen beschrieben, verhandelt wie auf dem
Markt ohne große Nachfrage über drei Seiten mit Viktor, mit wie viel
Stunden er wöchentlich wieder anfangen darf, Wiedereinarbeitung.
Seit wann diskutiert man das mit dem Chef? War er nicht
suspendiert? War er nicht krankgeschrieben? Eine Schlägerei folgt
in den Nebenräumen: Ein Beamter der Vermisstenstelle wird von
einem anderen Mann namens Winter angegriffen, der ihn als
Mörder bezichtigt. Winter meint auf Youtube die verbrannte Tote als
seine Frau zu identifizieren, der Angegriffene ist der Bruder der
Frau. Viktors große Pranken retten den türkischstämmigen Kollegen
vor dem Würgetod durch den Schwager. (Im weiteren Verlauf gibt
es keine Untersuchung bezüglich der Anschuldigung, man versteht
auch nicht, warum der Ehemann darauf kam.) Viktor nimmt sich
Winter vor, verhört den möglichen Ehemann grundlos als
Beschuldigten, obwohl noch gar nicht die Identität der Toten geklärt
ist. Und nun beschäftigen sich alle Beteiligten mit ihren riesigen
Privatproblemen. Der abgeschnittene Kopf von Winter wird zwei
Tage später auf einem Briefkasten gefunden, der Rumpf liegt in
seiner Wohnung, die Verbrannte ist wirklich seine Frau. Der neue
Tatort wird begangen und ab zu den privaten Problemen.
»›Nehmen wir an, es wäre Mord gewesen.‹
Lopez nickte. ›Gut. Nehmen wir mal an …‹ Doch bevor er
weitersprechen konnte, fügte sie hinzu: ›Ganz ehrlich: Was wären
wir ohne Morde? Nutzlos, überflüssig, auf dem Abstellgleis. Wir sind
abhängig von Tötungsdelikten. Sonst wären wir arbeitslos.‹«
Etwas verwirrt über den Anfang lese ich weiter und kann mich bis
zum Ende nicht in das Buch einfinden. Es gibt sehr schöne
Beschreibungen in diesem Roman, gelungene Bilder, Katja Bohnet
kann schreiben, ohne Frage. Letztendlich konnte ich mich in die
Story an sich nicht einfinden. Das ist Geschmack. Mir schien das
Ganze hochkonstruiert, abseits der Realität. Das genau zu erklären
wird schwierig, ohne die Geschichte im Vorfeld zu verraten. Die
beiden Hauptfiguren haben große Privatprobleme und werden
zusätzlich von Personen im privaten Umfeld zu Nebenhandlungen
zur Hilfe gerufen. Immer noch einen drauf, das war mir zu viel. Die
Ermittlung bleibt auf der Strecke, erledigt sich sozusagen von
selbst. Viel Personal taucht auf, auch in Nebensträngen, die nichts
mit den Polizisten zu tun haben, sondern mit dem Fall, noch mehr
Handlungsstränge, noch mehr Personal. Im Kopf überschlagen
komme ich auf mindestens 12 Handlungsstränge. Jede neue Person
wird lang beschrieben, samt Lebensgeschichte, immer wieder wird
der Leser hinauskatapultiert. Auch unwichtige Personen bekommen
eine eigene Story, Personen, die die Geschichte nicht braucht.
Beispielhaft eine Ermittlerin in Dänemark, die telefonisch gebeten
wird, eine Zeugenbefragung in ihrem Ort als Amtshilfe
vorzunehmen. Hier beginnt das Kapitel mit einem Fitnesstrainer,
seiner Beschreibung, am Ende des Kapitels hat er Sex mit der
Polizistin, die dann irgendwann zu der Befragung gerufen wird. Es
rücken unzählige Probleme heran, die unterbrechen, nicht nötig
sind, der Handlung nicht guttun, auf Grund der Menge klischeehaft
abgehandelt werden. Ein privater Konflikt, gut psychologisch
ausgearbeitet, das hätte gelangt. Viktor hat medizinische Problem,
klar, massive Probleme mit seinem Job, seine Lebensgefährtin hat
ein eigenes massives Problem, ebenso ihre Tochter, die WG hat ein
gestörtes Kommunikationsproblem. Viktors Oma hat ein Problem
und auch seine Krankenhausärztin, die ihn ruft. Lopez hat ein dickes
medizinisches Problem, ein dickes privates Problem und ein
gestörtes Kommunikationsproblem in der Ehe. Viktor wiederum ist
der Vermittler in allen Dingen. Gebetsmühlenartig wird wiederholt,
wie wichtig die Arbeit bei der Mordkommission für die beiden ist,
welch harte Typen sie sind, nach dem Motto: Ich bin blind, habe drei
Messer im Rücken, na und, ich kann doch arbeiten. Nur wann
arbeiten sie?
»Doch Viktor antwortete nicht, er presste seine Finger zusammen,
ballte die Hand zu einer Faust. Erst langsam, dann mit zunehmender
Kraft. Ein Knacken ertönte, erst leise, danach krachte es laut, bis
der Apfel schließlich brach. Fruchtfleisch spritzte zwischen Viktors
Fingern hindurch, Schale quoll über seine Hand, und Saft tropfte auf
den Boden wie Blut aus einer Platzwunde.«
Ich fragte mich am Ende, warum ich trotz der intensiven
Figurenbeschreibung keinen Zugang zu ihnen bekommen habe. Die
Personen sind dermaßen überzogen, dass ich sie als unglaubwürdig
empfinde, dazu noch klischeehaft. Sie sind für mich nicht stimmig, ihr
Sein und ihr Handeln passt für mich nicht zusammen. Manche Bilder
sind für mich überfrachtet, merkwürdig im Ausdruck, ließen mich
eher auflachen. Frankenstein vom LKA, auch hier zu viel. Es gibt
angefangene Handlungen, die nie aufgelöst werden. Leider konnte
mich auch das konstruierte Ende nicht überzeugen.
Fazit: Es gibt gut geschriebene Passagen, Atmosphäre aber von
allem zu viel: zu langatmige, oberflächliche Beschreibungen von
Personen und Leben, zu viel Klischees, zu viele Personen, die die
Handlung nicht vorantreiben, zu viel Zufall und Konstruktionen um
Zusammenhänge zusammenzubringen, zu viele eklatante
Privatprobleme, zu viel nicht nachvollziehbares Handeln, zu viel
Unlogik. – Zu wenig Ermittlung, ein Prolog, der keiner ist, sondern
ein erstes Kapitel. Am Ende frage ich mich, was mir die Geschichte
sagen soll. Ich weiß es nicht. Weniger ist meistens mehr. Wer gerne
Hackebeilchenthriller liest, dem mag der Roman gut gefallen. Das ist
ja alles Geschmackssache.
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