Autorin
Sabine Ibing
»Wie er dasteht - gegen die Kälte so immun wie eine Marmorstatue - und
zur Charlotte Street hinüberschaut, auf den perspektivisch verkürzten
Wirrwarr der Fassaden, die Baugerüste und Pultdächer, findet Henry,
dass Städte ein Erfolg sind, ein organisches Meisterwerk - wie um
Korallenriffe drängen sich Millionen um die angehäuften, vielschichtigen
Errungenschaften der Jahrhunderte, schlafen, arbeiten, vergnügen
sich, einträchtig zumeist, und wollen fast alle, dass es funktioniert.«
London, Sonntagmorgen, 15. Februar 2003, der Neurochirurg und
Chefarzt Henry Perowne fällt in der Morgendämmerung in sein Bett, ein
ereignisreicher Samstag liegt hinter ihm.
Henry philosophiert in inneren Monologen über sein Leben und das
Leben im Allgemeinen und berichtet von diesem verflixten Tag. Auf der
einen Seite ist er ein blasierter Oberarzt, intellektuell, der Oberschicht
angehörend, auf der anderen Seite zeigt er sich empathisch. Ihm geht es
gut, und er weiß das zu schätzen, glücklich verheiratet mit einer ebenso
erfolgreichen Juristin, ein Haus in London, zwei erfolgreiche Kinder.
Henry fährt einen silbernen Mercedes 500, ein Arztwagen, wie sein Sohn,
Musiker, naserümpfend feststellt. Auf dem Weg zum Squash-Center
gerät er in einen Stau, wegen einer Friedensdemonstration gegen Tony
Blair, versucht durch eine Gasse das Ganze zu umgehen und kollidiert
leicht mit einem roten BMW, es geht um einen Außenspiegel. Henry fühlt
sich im Recht, will die Versicherungen austauschen, doch die drei Typen
im BMW weisen ihm die Schuld zu, fordern Geld, wollen Henry dazu
zwingen, es aus dem Automaten zu ziehen. Der Chefarzt benimmt sich
standesgemäß gegenüber dem Pöbel, weigert sich, will die Polizei rufen
und ist gerade dabei, sich Schläge von Baxter und seinen Kumpeln
einzuhandeln, kann sich im letzten Augenblick durch intellektuelle
Überlegenheit aus der Sache herauslavieren. »Wenn man krank ist,
empfiehlt es sich nicht, den Schamanen zu beleidigen.« Er trickst sich
heraus, spielt sich auf.
»Noch nie in seinem Leben hat er jemandem ins Gesicht geschlagen,
nicht mal als Kind. Und ein Messer hat er bislang immer nur in
kontrollierter Bewegung und steriler Umgebung an betäubte Haut
angesetzt. Er weiß schlichtweg nicht, wie man sich rücksichtslos
benimmt.«
Weiter geht es zum Squashduell, mit einem befreundeten Anästhesisten,
ein Farbiger, Henry ist sein Chef. Fein beschrieben das berufliche
Verhältnis zueinander, das Squashspiel als Kampf zwischen zwei
Männern, fast ein Krieg, den es zu gewinnen gilt. Psychologisch fein
herausgearbeitet ist hier der Kampf der Giganten, die alles geben, nicht
auf die Gesundheit achtend, es geht nicht um Sport, sondern alles dreht
sich um das eigene Ego.
Henry besucht danach seine demente Mutter im Pflegeheim und es geht
zurück nachhause zum Familienabend. Der wird letztendlich durch den
kriminellen Baxter und seine zwei Freunde gestört, die in das Haus
eindringen, die Familienmitglieder bedrohen, ein Raubüberfall.
Letztendlich hilft auch hier intellektuelle Überlegenheit, die Eindringlinge
zu überwältigen. Und ganz zum Schluss wird Henry am späten Abend zu
einer Notoperation gerufen, begegnet Baxter das dritte Mal an diesem
Tag.
»Obwohl er seine Denkvorgänge verlangsamen und viele Stunden
kostbarer Zeit aufwenden musste, hatte er sich den wechselnden
Komplikationen dieser anspruchsvollen Märchen anvertraut. Doch
welche Einsichten hielten sie letztlich bereit? Dass Ehebruch zwar
verständlich, aber falsch ist, dass es Frauen im neunzehnten
Jahrhundert nicht besonders leicht gehabt haben und dass Moskau, die
russische Landschaft und die französische Provinz so und nicht anders
ausgesehen haben? Diese Bücher waren das Ergebnis eines
unerbittlichen, fachkundigen Sammeleifers.«
Nebenbei erfahren wir eine Menge über die Familienmitglieder, die am
Abend zusammenkommen werden. John Grammaticus, der
Schwiegervater von Henry hat eine besondere Bedeutung. Er ist ein
bekannter Schriftsteller, der den Arzt nie richtig anerkannte. Henry
selbst ist nicht ganz glücklich mit der Berufsentscheidung seiner Kinder,
die vom Großvater gefördert wurden, aber er ist mächtig stolz auf sie,
versucht sie zu verstehen. Sein Sohn hat sich unter Bluesmusikern
bereits einen guten Namen machen können, obwohl er noch sehr jung
ist. Und die Tochter, die Literatur studiert hat, erhielt gerade den Preis,
zu dem es John Grammaticus erst im Alter schaffte, was den ein wenig
eifersüchtig macht. Henry liebt seine Tochter Daisy. So recht kann er
nichts mit diesen unnützen künstlerischen Büchern anfangen. Aber er
liest brav die Bücher, die Daisy ihm in Listen verabreicht, dabei auch
solche Schundromane, wie Anna Karenina und Madame Bovary, wie
Henry meint.
Fein gezeichnete Charaktere, herrliche Monologe, eine Geschichte, die
auf den Höhepunkt zusteuert, das Drama, im Abgang noch ein
Schmankerl, die OP, bei der Henry menschliche Größe beweisen kann.
Der Tag ist vorbei:
»Er schmiegt sich an sie, an ihren seidenen Pyjama, ihren Geruch, ihre
Wärme, ihre geliebte Gestalt, zieht sie enger an sich. Blind küsst er ihren
Nacken. Das wird es immer geben, ist einer seiner letzten Gedanken.
Dann: Es gibt nur dies. Und dann, undeutlich, fallend: Dieser Tag ist
vorüber.«
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