Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
zeitgenössische Romane
Rezension
Der Distelfink
von Donna Tartt
Hörbuch, 33 Stunden, 25 Min, gesprochen von Matthias Koeberlin
„Ein großes Leid und eines, das ich erst anfange zu verstehen: Wir können uns
nicht aussuchen, wer wir sind.“
„Was ist, wenn einer zufällig von einem Herzen besessen ist, dem nicht zu trauen
ist? Wenn dein tiefstes Inneres dich singend zum Scheiterhaufen lockt, sollst du
dich dann lieber abwenden, dir die Ohren mit Wachs verstopfen, den perversen
Glanz ignorieren, von dem dein Herz dir zubrüllt? “
Dieses Buch ist ein grandioses Epos, über 1000 Seiten auf Papier, eine Rückblende
des Theodore Decker, als eine Ansammlung kleiner Einzelgeschichten zum großen
Ganzen und eine fantastische Charakterstudie. Menschen beginnen etwas in guter
Absicht und irgendwann läuft es schief, das sie als falsch erkennen und in
Bewusstsein dessen trotzdem nicht beenden können. Das ganze Leben ist eine
Lüge. Es kommt aber der Punkt, an dem das Kartenhaus zusammenbricht. Das
könnte man als Elixier aus dem Roman mitnehmen.
Theodore Decker beginnt seine Lebensbeichte mit dem Tag seiner Lebenslüge. Er
ist dreizehn Jahre alt, lebt mit seine Mutter zusammen, zu der er eine enge
emotionale Beziehung hat, sie ist sein Dreh- und Angelpunkt. Die beiden befinden
sich im New Yorker Metropolitan Museum zu einem Augenblick, als ein
Bombenanschlag das Gebäude teilweise einstürzen lässt und die Mutter dabei
erschlägt. Theodore möchte das kleine Bild eines Distelfinken, von Carel Fabritius,
dem Schüler Rembrandts retten, bevor das Gebäude ganz zusammenbricht, er
steckt es ein. Und er steht einem alten Mann in seinen letzten Minuten bei, den er
kurz zuvor zusammen mit einem rothaarigen Mädchen gesehen hatte, der ihm im
Tod etwas überreicht. Kurz danach sucht Theo den Restaurator Hobie auf, um ihm
vom Tod des Freundes zu erzählen, im dessen Schmuck zu übergeben. Das zarte
rothaarige Mädchen, von dem Theo begeistert ist, wohnt bei Hobie. Soll Theo das
Bild zurückgeben, das er gerettet hat oder lieber nicht, denn man könnte ihn als
Dieb bezichtigen. Er hadert.
Zunächst wird der Halbwaise Theo von der kühlen, reichen Mrs. Barbour
aufgenommen, der Mutter eines Schulfreunds. Er lernt die bessere Gesellschaft
von New York kennen, die „alten Familien“, die an den englischen Landadel
erinnern. Theo, aus ärmeren Kreisen stammend fühlt sich nicht sehr wohl, eher
ausgeschlossen. Plötzlich taucht Theos Vater auf und nimmt den Sohn mit nach Las
Vegas. Der Vater, ein Spieler, wohnt weit draußen in einem schäbigen Stadtteil,
kümmert sich nicht um den Sohn, ebenso wenig seine Lebenspartnerin, die an eine
Babypuppe erinnert. Theo lernt den ebenso verwahrlosten Boris kennen, einem
Jungen aus der Ukraine. Eine Freundschaft beginnt. Sie rauchen, klauen, trinken,
werfen Drogen jeder Art ein und lesen Bücher. Die Erziehungsberechtigten leben
ihnen gleiches vor. Nun schildert Tartt im Detail den Exzess in der Einsamkeit bis hin
zur Beschreibung des Erbrochenen, man riecht förmlich die stinkenden Körper,
widert sich vor dem Fastfoodfraß. Zwischendurch sucht der Vater die
Freundschaft zu Theo, immer dann, wenn er glaubt, der Sohn entgleitet ihm. Der
Vater ist alles was Theo noch hat. Kann er ihm vertrauen? Es kommt zum Bruch,
der Vater verstirbt und Theo haut ab nach New York, nimmt aber Popchik mit, den
Hund von „Baby“, einen hässlichen Taschenköter. Der Hund ist der letzte Freund,
der ihm verblieben ist. Noch immer besitzt er „den Diestelfink“, den er nie dem
Museum zurückgab. Wo soll er hin in der großen Stadt? Er klopft wieder bei Hobie
an, der ihn aufnimmt. Dort ist auch immer noch die wunderschöne rothaarige
Pippa. Hobie stellt Theo ein. Hobie ist Restaurator, ein Künstler, der keinen Sinn für
den Verkauf hat. Theo entwickelt sich zum exzellenten Käufer. Doch auch diesen
Erfolg baut er wieder auf Betrug auf. Später taucht Boris auf und es wird wieder
natürlich kriminell.
Guten Absichten - bösen Taten, jeder der Akteure hat etwas zu verbergen, betrügt
sich selbst und natürlich seine Mitmenschen. Die vornehme Mrs. Barbour, die etwas
sein möchte, das ihre Finanzen nicht mehr hergeben, ihre Kinder, die sich in einer
Familienschuld quälen, Pippa, die versucht als Musikerin berühmt zu werden, genau
weiß, dass ihr letztendlich das Talent fehlt, trotz ihrer Ehrgeizes. Der Vater, der
jeden betrügt, um seine Spielsucht zu befriedigen, seine Freundin, die immer noch
glaubt in Vegas großes Geld zu machen. Der sanfte Hobie, der nichts sehen will,
der mir insgesamt ein wenig sehr pathetisch dargestellt wird. Und natürlich Theo
selbst, der sich immer wieder in Schwierigkeiten begibt.
Ein Buch, dem sich niemand entziehen kann, poetisch, verstörend und
gnadenlos, begeisternd. Ein weiteres Lieblingsbuch.
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