Autorin
Sabine Ibing
Interview mit Ira Ebner
von Sabine Ibing
Du bist Schriftstellerin im historischen Genre, waschechte Bayerin und
von Beruf Fremdsprachenkorrespondentin. Für welche Sprachen?
http://iraebner.blogspot.ch/
I. E.: Für Englisch und Französisch. Die Ausbildung ging aber über das
Schreiben von Geschäftsbriefen und dem Auswendiglernen der
sogenannten „Incoterms“ hinaus, etwa Landeskunde Großbritannien
und USA. So war neben meinem Interesse für Sprachen auch das für
Geschichte und die jeweiligen Länder abgedeckt.
Nach meiner Ausbildung habe ich erst einmal Bürojobs bekommen
und durfte gelegentlich englischen, bzw. französischen
Schriftwechsel übersetzen. Wirklich anwenden konnte ich die
Sprachen erst, als ich für knapp 2 Jahre am Check-In am Flughafen
München gearbeitet hatte. Dort begegnet man im wahrsten Sinne des
Wortes Menschen aller Herren Länder, hört alle Einfärbungen von
Englisch und Französisch und lernt auch die unterschiedlichsten
Mentalitäten kennen. Und entwickelt andererseits ein Gespür für
Menschen.
Sprache scheint schon immer dein Interesse gewesen zu sein. Mir
sagte jemand, du hättest mit 14 Jahren dein erstes Buch geschrieben.
Stimmt das und wovon handelte das? Ist es verlegt worden?
I. E.: Mit dem Schreiben habe ich schon viel früher begonnen, mit
etwa 9 oder 10 Jahren. Ich hatte Abenteuer und Geschichten im Kopf,
die raus wollten. Den ersten Roman in dem Sinn schrieb ich tatsächlich
mit 14. Er spielte im Baltikum, weil ich von den Ereignissen der
Glasnost und Perestrojka beeindruckt war und auch von der
wechselvollen, wie dramatischen Geschichte der Baltischen Staaten.
Der Roman handelte von der sowjetischen Besatzung und der
Unabhängigkeitsbewegung – und nebenbei lief eine satte
Liebesgeschichte. So wie ich sie mir in dem Alter natürlich vorgestellt
hatte.
In der Form, wie ich ihn damals verfasst hatte, wurde er nicht
verlegt, aber manche Szenen sind in „Himmel, Erde, Schnee“
wiederzufinden, allerdings etwas umgearbeitet und angepasst. Das
Manuskript existiert noch.
Der Miners' Strike von 1984/85 bildet den Hintergrund von "Cold
Britannia", deinem neuen Buch. Wie kamst du auf das Thema, was hat
dich gereizt?
I. E.: Als Kind war ich jedes Jahr in England. Natürlich bekommt man
dadurch sehr früh einen gewissen Bezug zu einem Land. An der
Fremdsprachenschule hatten wir das Thema Miners‘ Strike und
Thatcher durchgenommen, und ich habe es aufgesaugt wie ein
trockener Schwamm das Wasser.
Vor 2 Jahren – „Schwalben“ war fertig, und eine Buchidee ging nicht
so voran, wie ich es mir gewünscht hatte – kam mir die Eingebung.
„Cold Britannia“, plötzlich, und ich wusste, dieses Buch wird im
England der 1980er Jahre spielen. Ich dachte zum Jahreswechsel
2013/14 über vieles nach. Über die gesellschaftlichen Entwicklungen,
die Medien – und warum viele Menschen die Welt, wie wir sie heute
haben, mit der Globalisierung, der keineswegs überwundenen
Bankenkrise, sozialen Ungerechtigkeiten, für gegeben hinnehmen.
Und woher diese Entwicklungen kommen.
Wenn man die Ursachen begreifen will, muss man in die späten 1970er
und in die 1980er zurückgehen und sich Ronald Reagan und Margaret
Thatcher vornehmen, die auf die freie Marktwirtschaft und die
Kürzungen im Sozialen gesetzt hatten. Das wohl entscheidendste
Ereignis dieser Ära war wohl der Miners‘ Strike. Ich denke, die Bilder
davon kommen jedem in den Sinn, wenn er davon hört.
Anhand der Figuren in „Cold Britannia“ wollte ich die Ereignisse
erklären und die Zeit von Margaret Thatcher spürbar und erlebbar
machen.
Thatcher wollte mit dem „New Deal“ die Industriemacht
Großbritannien in eine Finanz- und Dienstleistungsmacht umwandeln.
Aber es lief noch weiter. Was ging in dieser Frau vor und warum
konnte sie sich durchsetzen?
I. E.: Maggies Vater, Kolonialwarenhändler in der nordenglischen
Stadt Grantham, verachtete die Gewerkschaften und hatte das
seiner Tochter auch vermittelt. Er war Bürgermeister der Stadt. Die
britischen Gewerkschaften waren sehr mächtig. Ein Generalstreik
war ein Generalstreik und alles stand still, anders als in Deutschland,
bis hin zu Rücktritten von Regierungen. Das dürfte die Politikerin
Thatcher genauso geprägt haben. Außerdem waren die 1970er/80er
Jahre die Zeit des Kalten Kriegs, und Thatcher betrachtete die
Umwandlung einer Industriemacht zu einer Finanzmacht – und damit
die Schwächung der Gewerkschaften und der Linken – als Sieg über
den Sozialismus.
Allerdings war der Beginn von Thatchers Amtszeit nicht erfolgreich.
Die Wirtschaft stagnierte, die Arbeitslosigkeit stieg und das Pfund
schwächelte. Sie drohte deshalb 1983 abgewählt zu werden – der
Falklandkrieg und ihr unnachgiebiges Auftreten als „Eiserne Lady“
bescherte ihr doch den Wahlsieg.
Ehemalige Großmächte brauchen Führungspersönlichkeiten, die
markige wie nationalistische Botschaften aussenden. Siehe „Mr Kohl, I
want my money back!“
Ich habe für „Cold Britannia“ Thatcher-Reden gelesen und auf
Youtube ihre Gestik und Mimik studiert, um zu verstehen, warum sie
sich durchsetzen konnte, obwohl sie nicht beliebt war. Sie hat ihre
Botschaften kurz und markant übermittelt, so, dass auch einfachere
Menschen sie verstehen konnten.
I. E.: Rückblickend, 20 Jahre später, war die Entscheidung der
Thatcher-Regierung richtig oder hat der Weg der Zerschlagung der
Industrie und Kohle geschadet? Was ist deine Meinung dazu?
Thatchers Politik war auf Privatisierungen, Rückbau des Sozialstaats
und Stärkung des Kapitalmarkts ausgelegt. Das sieht man am
Londoner Bankenviertel, das während ihrer Regierungszeit
wortwörtlich in die Höhe geschossen ist. Aber eine Volkswirtschaft,
die sich nur auf den Finanzsektor stützt, ist krisenanfällig. Das hat die
Bankenkrise von 2007 ff bewiesen. Maggie ihrem Land, und damit der
Welt keinen Gefallen getan. Die Krise kann jederzeit wieder
ausbrechen, und ich glaube nicht, dass wir nochmal so glimpflich
davonkommen werden wie 2008/09 (Deutschland).
Zurück zur Kohle. Durch die harten Arbeitsbedingungen in den
Bergwerken hatten sich die Kumpels und ihre Gewerkschaften für
Verkürzungen der Arbeitszeit, Lohnerhöhungen und
Verbesserungen der Arbeitsbedingungen eingesetzt. Also hat der
Bergbau mit der Demokratisierung zu tun. Umgekehrt, was folgt aus
dem Ende der Industrie?
Mir hat gut gefallen, wie distanziert du das Thema bearbeitet hast.
Bei dir gibt es keine Guten und keine Bösen im eigentlichen Sinn. Alle
Protagonisten machen Fehler, verfolgen mit Scheuklappen eigene
Interessen, private, wie auch die ihrer Interessenvereinigung. Ist das
das Problem von Menschen, nicht über den Tellerrand hinüberblicken
zu können?
I. E.: Danke, das freut mich sehr! Mir ist die Ausarbeitung der Figuren
genauso wichtig wie die Dramaturgie. Die Figuren sollen
überzeugend und authentisch sein, darum haben sie, wie wir alle,
ihre Stärken und Widersprüche. Bei mir gibt es kein Schwarz und kein
Weiß, sondern das ganze Farbspektrum dazwischen.
Wenn wir ehrlich sind, sehen wir immer über unseren Tellerrand
heraus? Oder müssen wir nicht unsere eigenen Masken abnehmen
und uns eingestehen, dass unsere Sichtweise auch manchmal eng
ist?
Mit „Schwalben“ beschäftigst du dich mit Estland zur Zeit um den 2.
Weltkrieg. Die Deutschbaltin Fee Quint und der estnische Fischer
Kalju Kask wollen trotz aller Standesunterschiede heiraten, doch im
Herbst 1939 wird das Land von sowjetischen Truppen besetzt. Damit
werden die Zukunftspläne jäh zerrissen und Fee muss mit ihrer
Familie ihre Heimat verlassen. Mehr will ich nicht verraten … es wird
spannend. Meret, Fees Enkelin ist auf den Spuren ihrer familiären
Vergangenheit … Wie kamst du auf Estland?
I. E.: Vorhin hatte ich bereits erwähnt, dass mein Interesse für die
Baltischen Staaten, Litauen, Lettland und Estland mit der Wendezeit
aufgekommen ist. Mich hat damals beeindruckt, wie die Balten
gewaltfrei, ohne blutigen Unabhängigkeitskrieg, ihre Freiheit durch
die „Singende Revolution“ erreicht haben. Das war Zivilcourage,
Millionen von Menschen in Litauen, Lettland und Estland drücken
ihren Protest gegen die sowjetische Besatzung durch ihre
(verbotenen) Lieder aus, und unter den damaligen
Voraussetzungen. „Himmel, Erde, Schnee“ spielt in den Jahren 1971 bis
1991 und beschreibt, warum die Esten, Letten und Litauer ab der
Perestrojka nicht mehr in der Union zu halten waren. Unterdrückung,
Umweltzerstörung und die Russifizierung führten dazu, dass die
Balten raus und sich Richtung Westen orientieren wollten.
„Schwalben“ verbindet deutsche und estnische Geschichte. Bis zum
Ausbruch des 2. Weltkriegs lebten die Nachkommen der deutschen
Ordensritter hauptsächlich in Lettland und Estland. Mit „Schwalben“
wollte ich auf diesen Berührungspunkt und auch auf die gemeinsame
Tragik, nämlich den Verlust der Heimat, aufmerksam machen.
Übrigens, die Familie von Otto Graf Lambsdorff stammt aus Estland.
Im Tallinner Dom kann man die Wappenepitaphe der Familie finden.
Und auch Heinz Erhard war Balte, er war in Riga geboren und
aufgewachsen.
„Himmel, Erde Schnee“, auch ein Buch über die baltische Geschichte.
Vor kurzem warst du in Litauen. Möchtest du uns dazu etwas
erzählen? Was verbindet dich mit dieser Region?
I. E.: Ich war früher sehr oft in Litauen, da ich eine Freundin in Vilnius
habe. Wir hatten gemeinsam Weihnachten und Neujahr gefeiert und
so habe ich die Kultur, das Land und seine Menschen kennen und
lieben gelernt, und auch so manchen Sommer. Ich mag die Menschen
und ihre Mentalität. Auf den ersten Eindruck mögen sie
zurückhaltend und still wirken, aber sie sind sehr offen und
hilfsbereit. Ich mag auch die Landschaft, die Weite und das Licht des
Nordens. Es ist die gegenüberliegende Seite Skandinaviens, und doch
mit östlichem Einfluss … Schwer zu beschreiben, wenn es so vertraut
für einen selbst ist. Also versuche ich, in meinen Büchern, das
Baltikum wiederzugeben und zu beschreiben. Auch auf meinem Blog
habe ich einen kleinen Bericht über den Urlaub an der Ostsee
geschrieben.
Deine Sprache ist anspruchsvoll, prägnant. Präzise beschreibst du
gesellschaftliche Probleme aus der Sicht deiner Protagonisten. Du
beschreibst gern Zeiten, die durch geschichtliche Ereignisse große
Veränderung erfahren. Welches weitere Thema reizt dich in der
Geschichte?
I. E.: Mich interessieren einige Themen wie etwa das Zeitalter der
Raumfahrt, oder die neuere deutsche Geschichte.
Du beschäftigst dich mit der neueren Geschichte. In diesem Feld
tummeln sich nicht so viele Autoren. Warum eher junge Geschichte
und nicht Kloster, Ritter, Mittelalter … ?
I. E.: Ich würde niemals nie sagen und etwas ausschließen. Bisher
hatte ich, obwohl ich „Der Name der Rose“ wirklich verschlungen
habe, noch keinen Zugang zu früheren Epochen.
Recherchierst du nur in Büchern, dem Internet oder fährst du auch
die Orte der Handlung ab, recherchierst in heimischen Quellen?
I. E.: Sowohl als auch. Ich habe ein fotografisches Gedächtnis, also
kann ich die Orte, an denen ich war, sehr präzise wiedergeben. Das
Internet ist sehr hilfreich, wenn ich mich ins jeweilige Thema vertiefe,
nicht nur mit Fakten allein, sondern auch mit Hilfe von
Zeitungsarchiven, Youtube oder Augenzeugenberichten.
I. E.: Gibt es Interessantes aus Bayern, der Münchner Gegend, das du
gern einmal zum Thema wählen würdest?
Ja, und zwar über die Zeit unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg. Damals
war Bayern, man möchte es angesichts der heutigen
Voraussetzungen nicht meinen, im Umbruch. Das Ende der
Monarchie, Kurt Eisner als erster Ministerpräsident und die Münchner
Räterepublik. Die wurde von Freikorpstrupps niedergeschlagen und
daraufhin wurde München leider zur Brutstätte des
Nationalsozialismus, bis hin zu Hitlers Putschversuch von 1923.
Das wäre für mich eine interessante Epoche, und der Blickwinkel auf
Bayern wäre ein anderer.
Als Autor von historischen Romanen macht man immer einen Ritt auf
der Schwertklinge. Die einen mosern, das wäre zu viel Drumherum,
zu viel Liebe, es fehlt Historisches. Die anderen bemängeln das
Historische, man wolle schließlich kein Sachbuch lesen … Gehst du mit
dir ins Gericht, wenn du den Plot formst oder ist dir egal, was die
Leser denken? Wie wird man allen gerecht?
I. E.: Frage, kann man überhaupt den perfekten Roman schreiben,
mit dem alle 100% zufrieden sind? Ist man als Autor immer mit seiner
Arbeit zufrieden?
Mir sind Plot und Fakten gleich wichtig. Wenn ich allerdings merke, ich
schreibe von Zusammenhängen, die vielleicht mir klar sind, und nicht
jedem Leser, muss ich sie natürlich so ausarbeiten, dass sie schlüssig
und verständlich werden. Ich möchte, dass die Leser so viel wie
möglich aus meinen Büchern mitnehmen und im besten Fall auch
noch Freude an Geschichte und Politik entwickeln. Ein historischer
Roman, der auf Tatsachen aufgebaut ist, muss kein Sachbuch sein. Er
soll korrekt und der jeweiligen Zeit gerecht werden, aber auch
ausgewogen sein, in dem er von Menschen und ihren Schicksalen
handelt. Finde ich jedenfalls.
Bist du ein Planer oder hast du deine Geschichte nur grob im Plan?
Und deine Protagonisten, entwickeln sie sich während des Schreibens
oder kennst du sie, bevor du die erste Zeile schreibst?
I. E.: Ein Planer, der seine Buchprojekte für die kommenden Jahre
auflistet und dann abarbeitet, bin ich nicht. Meistens kommen die
Ideen spontan. Danach kommt die Stunde der Wahrheit, wo beginnt
die Geschichte und wo endet sie? Trägt sie?
Wenn dem so ist, ich kenne meine Protagonisten zwar, aber bei ihnen
kommt es auch immer wieder darauf an. Nicht jede Geschichte ist
gleich. Es kann sein, dass sich der oder die andere Protagonist
während des Schreibens plötzlich aus der ihm oder ihr erst
angedachten Rolle löst und sich ganz anders entwickelt.
Wer historische Romane schreibt, liest auch selbst welche. Welche
drei Lieblingsromane empfiehlst du mir?
I. E.: Also, „Der Name der Rose“, klar …
„Fegefeuer“ von Sofi Oksanen, zum Thema „Schwalben“ und
„Himmel, Erde, Schnee“ und „Madame Mao“ von Anchee Minh.
Was gibt es Neues von Ira Ebner und wann bist du wo auf Lesereise?
Ab Februar bin ich auf Lesereise zu „Cold Britannia“. Termine kündige
ich in der örtlichen Presse und auf Facebook an. Außerdem plane ich
für Januar/Februar eine Leserunde auf Lovelybooks. Ein neuer
Roman ist in Arbeit, diesmal spielt er in Deutschland und die
Ereignisse sind nicht so lange her, bzw. könnten auch jetzt
geschehen.
Ich danke dir, dass du dir Zeit genommen hast, meine Fragen zu
beantworten.
I. E.: Ich danke dir für dein Interesse.
Rezension “Cold Britannia”
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