Autorin
Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben
Historische Romane
Rezension
Das Seelenhaus
von Hannah Kent
Hörbuch, 11 Stunden, 57 Minuten gesprochen
von Vera Teltz, Tobias Kluckert
Ich würde das Buch unter Geschichtsroman einordnen, denn die Geschichte
beruht auf Tatsachen und wurde unter historischen Aspekten recherchiert.
Wie der Verlag auf „Krimi“ kommt, ist mir rätselhaft, denn niemand ermittelt
hier und ein Thriller ist es auf keinen Fall. Das Buch beschreibt schlicht die
Lebensgeschichte einer Magd auf Island, Bezugnehmend auf 1828. Die Magd
Agnes Magnúsdóttir wurde wegen Mordes zum Tode verurteil, in Tateinheit
mit einer weiteren Magd und einer männlichen Person, einen Bauern
umgebracht zu haben. Sie wartet nun auf die Vollstreckung der Strafe.
Dazu wird sie auf ein einsames Gehöft gebracht, Gefängnisse gab es nicht.
Natürlich haben die Bewohner Angst vor der Mörderin. Agnes darf sich
einen Geistlichen zum Beten aussuchen, der sie erläutert. Diesem jungen
Vikar Thorvardur Jónson, genannt Tóti, zu dem sie Vertrauen fasst, erzählt
sie ihre Lebensgeschichte. Tóti ist fasziniert. Agnes betet weder mit ihm,
noch lässt sie sich läutern, Agnes redet.
Die Bauernhäuser waren damals kleine Torfhütten und das gesamte Leben
fand in einem Raum statt, indem auch alle gemeinsam schliefen. Entweder
war es eiskalt oder zu warm in den Häusern, in denen die Luft stand, es
ständig feucht war, sich Schimmel an der Wand bildete und man oft von
herunterfallenden Torfstückchen getroffen wurde. Dung und Torf diente im
Winter als Heizmaterial, die mit beißendem Qualm den Raum füllten.
In dieser Enge kommen die anderen nicht umhin, mitzuhören und Stück für
Stück erfahren sie, dass die Agnes ein Mensch mit einer persönlichen
Geschichte ist, kein böses Monster. Agnes macht sich sehr nützlich auf dem
Hof und wird nach einer Weile als vollwertiges Mitglied der Hofgemeinschaft
angenommen. Je länger Agnes Geschichte wird, umso mehr Vertrauen
erhält sie von den Hofmitgliedern.
Von der ersten Seite an wird man in die Geschichte hineingezogen, schon
auf Grund der schönen Sprache. Man fröstelt bei der Beschreibung der
kargen Landschaft, der ärmlichen Hütten, dem kargen Essen. „Sie kochte
schleimige Moossuppe.“ Die Beschreibung der Zeit, ihrer Sitten, ist exzellent.
Geprägt von strengem Katechismus, Glaube, harter Arbeit wird dem Leser
das damalige Island präsentiert. Kälte und Dunkelheit bestimmt einen
Großteil des Lebens.
Wir tauchen ein in die Seele von Agnes, die sich nicht beklagt. Ihre Mutter
gebar zwei uneheliche Kinder (wahrscheinlich hatte der Bauer sie
vergewaltigt, bei dem sie arbeitete) und ließ die Kleinen irgendwann im
Stich, weil sie stellungslos wurde, sie war schwanger. Die Gemeinde gab
Agnes zu Zieheltern, die gut zu ihr waren, der Bauer sie aber nach ein paar
Jahren zurückgab, da die Frau im Kindbett verstorben war (bei Eis und
Schnee konnte man keine Hilfe holen) und durch eine schlechte Ernte der
Bauer den Hof aufgab. Von nun an fristet die intelligente Frau das Dasein
einer Magd, ein Leben voller Pflichten, mit wenig Rechten.
Eine Geschichte über Vertrauen, Verrat und Lügen, von Gewalt, von der
Übermacht der Männer: „Männer durften tun und lassen, was sie wollten.“
Ein Leben in einer düsteren Zeit in einem kargen, düsteren Land, einer
geteilten Moral. Die Pfarrer mussten beim Landrat damals über jede Person
Zeugnis ablegen. Menschen wurden als gut oder schlecht bewertet, je
nachdem, wie gut sie sich im Katechismus auskannten. Es herrscht eine
hohe Moral und Mägde, die uneheliche Kinder bekamen, wurden in Schande
vom Hof verwiesen, auch wenn klar war, dass das Kind ein Produkt der
ewigen Vergewaltigung des Hofherren war. Auch Alkohol ist ein großes
Thema.
Agnes war stolz und hatte einen eigenen Kopf, konnte lesen und schreiben:
„Aber die Leute merkten, dass ich denken kann, und sie finden, dass man
einer denkenden Frau nicht trauen kann.“ Agnes Geschichte ist traurig,
aber auf keinen Fall ein Einzelfall. Wir erfahren aber, dass ein Leben als
freier Bauer auch nicht wesentlich besser bestellt war, als das von Magd
und Knecht. Der Leser taucht ein in die Gedanken von Agnes und die der
Bewohner des Hofs, des Vikars, taucht ein in ein hartes entbehrungsreiches
Leben, das von Düsternis und Tod gekennzeichnet ist. Die Toten des Winters
werden im Stall gelagert, auf dem gefrorenen Fisch. Die Rechtsprechung
der damaligen Gesellschaft wird in diesem Roman geschickt dargestellt.
Ein Gesellschaftsroman, zum Anfang des 19. Jahrhunderts, der das Leben
der Klassengesellschaft der Isländer wiederspiegelt. Hannah Kent wertet
nicht, sie lässt ihre Figuren berichten, eindringlich und atmosphärisch. Die
große Erzählkunst der Autorin lässt niemanden unberührt zurück.
Das Buch war nominiert für den Women's Prize for Fiction 2014, mit Recht.
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