Autorin
Sabine Ibing
Nach mir die Nacht
von Benjamin Whitemer
Der erste Satz: »Als Patterson Wells durch die Haustür tritt, ist Chase
gerade mit einem Haufen Crystal Meth beschäftigt, einem Haufen so groß
wie sein eingefallener Schädel.«
Patterson Wells arbeitet als »Sturmbeseitiger«, schafft in 16-
Stundenschichten das fort, was die Natur hinterlassen hat, ein harter
Job. Hier kann er vergessen, seinen Schmerz stillen. Sein Sohn ist
verstorben, ein medizinischer Fehler. Ist die Hurrikan-Zeit vorbei, fährt er
nach Colorado, zu seiner Blockhütte im San Luis Valley in der Nähe von
Denver, gern fährt er auch in die Mesas. Er betäubt seinen Schmerz mit
Alkohol und Drogen. Männer, die sich mit Drogen zupumpen, ausflippen,
ihre Verdrängung von Frust und Wut in Gewalt umsetzen, einsame
Gegenden, Abgehängte, die dort wohnen, wo die Umweltbehörde
normalerweise das Gebiet räumen müsste, da die Verseuchung die
Gesundheit gefährdet.
Das Buch wird als Kriminalroman in den Handel gebracht. Das ist es auf
keinen Fall. Es gibt Tote. Doch es schert sich kein Ermittler darum. »Nach
mir die Nacht« ist für mich ein klassischer Gesellschaftsroman. Patterson
rettet Chase Frau davor, von Chase umgebracht zu werden. Sie macht
sich von dannen, in der Tasche das Crystal Meth, eine ziemlich große
Menge. Chase, ziemlich lädiert zurückgelassen, glaubt, Patterson hätte
ihm die Frau und die Drogen gestohlen, ist auf der Jagd nach ihm.
Patterson interessiert aber weder das eine noch das andere.
»Junior lebt im heruntergekommenen Wohngebiet Elyria-Swansea,
eingepfercht zwischen den vielen Schrottplätzen, Autowerkstätten und
abgetakelten Kneipen im Nordosten Denvers. Was die Gegend besonders
auszeichnet, sind die sogenannten Superfund Sites, die in einem Umkreis
von zwei Meilen liegen. Sechs Gebiete, die nach US-Umweltschutzrecht als
verseucht gelten ...«
Patterson, in seiner Hütte angekommen, hängt mit Junior ab, der mit der
Augenklappe, von dem man sagt, er sei nicht ganz dicht, der krumme
Geschäfte macht. Junior und seine Frau leben getrennt, nahe
beieinander, damit er seinen Sohn besuchen kann. Seine Frau hielt es mit
dem gewalttätigen Drogenabhängigen nicht aus. Und nun will sie
wegziehen, weil sie einen guten Job angeboten bekommen hat. Noch ein
Grund mehr, für Junior Frust zu schieben.
»Es ist, als ob alle, die daran glauben, ein bodenloses Loch in sich hätten,
aber niemandem davon erzählen können, weil es ja lediglich ein Loch ist,
also erfinden sie Geschichten, die genauso schrecklich und beängstigend
sind wie ihr Loch. Diese Geschichten schmeißen sie dann hinein und
hoffen, dass es sich wieder füllen lässt.«
Hillbillies, Verschwörungstheoretiker, Rocker, Kranke, hart arbeitende
Menschen, die nicht ordentlich versichert sind, nicht daran denken
mögen, was sie im Alter erwartet, weite Landschaften, Grundwasser, das
man lieber nicht trinken sollte. Männer, die sich ihren Braten selbst
schießen. Dafür gibt es um so mehr Alk und anderes Zeug und Waffen an
jeder Ecke. Ein Amerika, das wir aus dem TV nicht kennen, weit entfernt
von Denver-Clan.
»Das Einzige, was es im gemeindefreien Adams County reichlich gibt, sind
passende Plätze, um eine Leiche zu vergraben.«
Im eigentlichen Sinn gibt es keinen Mord, eine geplante Tötung, es geht
unter bestimmten Umständen immer ein wenig zu weit. Es endet mit dem
Tod, er oder ich oder aus Versehen, aus Frust. Ein Gesellschaftsporträt
des Amerika der unteren Klasse, düster, erschreckend. Colorado,
Denver, man hat weite Landschaften, blühende Städte vor Augen. Hier
nicht, man möchte dieses Colorado nicht besuchen, Menschen ohne
Zukunft, die Fragen stellen, aber mit Antworten nicht hoffen können.
Ein Roman, der berührt, bei dem es einem eiskalt den Rücken
herunterläuft. Ein Patterson, der seinem toten Sohn Briefe schreibt gegen
das Vergessen, die grandiose Landschaft der Mesa, zerklüftetes Gebirge
der Tafelberge, dichte Wälder voller Wild. Als Gegenpol die versifften
Vorstädte mit ebenso kaputten Menschen. Wer Noir Krimis mag,
Gesellschaftsromane, kommt voll auf seine Kosten. Kraftvolle pointierte
Sprache, kein Wort zuviel, keins zu wenig.
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