Autorin
Sabine Ibing
»Es steht eben jeden Tag ein Dummer auf.«
Arno Frank schreibt die eigene Geschichte auf, als Sohn eines
Betrügers. Arno ist noch klein, als er die ersten Boten wahrnimmt, für
das, was noch kommen wird. Geflüster der Eltern, Briefe mit
Löwenköpfen, die nicht geöffnet werden, der Auszug aus dem Haus in
eine kleine Wohnung, weitere Briefe mit Löwenköpfen, Eltern, die auf
Klingeln die Tür nicht öffnen. Der Vater möchte schnell reich werden.
»Er würde nicht reich werden mit einer Idee oder einem Geschäft, nein.
Er würde eines Tages einfach reich sein.«
Der Vater, ein gelernter Verwaltungsfachmann, dem sein Job zu öde
ist, zu schlecht bezahlt, kauft und verkauft, alles was die Welt nicht
braucht und er arbeitet als Gebrauchtwarenhändler, zieht die Leute
über den Tisch. Die Mutter ist Hausfrau, sorgt für die drei Kinder,
nebenbei veranstaltet sie Tupperpartys. Kaiserslautern in den
Nachkriegewehen, die Menschen sind schnell zu überzeugen, allen
Krempel zu kaufen: Fitnessgeräte, Wagenheber, Hirschgeweihe aus
Kunststoff, Radiergummis.
»Er hatte eine ganze Flotte zerlegter Kübelwagen erworben, die in
irgendeiner Halle lagerten, und zu ihrem Vertrieb eine Firma
gegründet. Nur halb im Scherz meinte er, dass er sie in ›Kübel & Sohn‹
umbenennen würde, wenn ich eines Tages in das Geschäft einstiege.
Ein Geschäft, das er ›zum Brummen‹ bringen würde. Soviel war schon
mal klar.«
Doch dann verschätzt sich der Vater mit der Dummheit der Leute, denn
die Ladung Kübelwagen, für die er einen Kredit aufgenommen hatte,
wird er nicht los. Das Haus wird aufgegeben, eine Wohnung gemietet,
danach geht es in eine noch kleinere Wohnung, weiter trudeln Briefe
ein, die die Eltern nicht öffnen. Eines Tages steht die Polizei vor der Tür.
Die Mutter hockt mit den Kindern im Flur, sie öffnet nicht. In der Nacht
werden die Kinder geweckt, die Koffer stehen bereits im Auto. Man
zieht mal wieder um.
»›Das alles hier‹, sagt Papa und malt mit den Fingern die Küste im Süden
nach. ›Côte d’Azur heißt so viel wie himmelblaue Küste. Und wenn ihr
einen Segelschein macht‹, sagt er und fährt mit der Hand großflächig
über die hellblaue Fläche südlich der Küstenlinie, ›dann könnt ihr das
alles hier auch erkunden!‹«
Es geht nun nach Nizza, der Vater hat einen »Arsch voll Geld« dabei.
Man mietet sich eine feine Villa mit Meeresblick, etwas Einfaches im
Hinterland kommt nicht in Frage. Die beide Ältesten besuchen eine sehr
teure Privatschule, lernen steinreiche Kinder kennen. Für die Kinder
nur das Beste!
»Niemand weiß, wer mein Vater ist und woher er kommt. Er könnte ein
jordanischer Scheich sein, ein italienischer Schauspieler, ein belgischer
Politiker. Niemand ahnt, dass er vor ein paar Monaten noch
Gebrauchtwagen verkauft hat in der Pfalz.«
Die Mutter verfällt in Kaufrausch: Nippes, teure Kleider, Louis Vuitton
Taschen. Arno bekommt ein Mofa, im Schulbus zu fahren, wäre unter
der Würde des Vaters. Die Familie wird um zwei Hunde erweitert.
»Schuften müssen nur die Idioten.«
Doch von nichts kommt nichts. Irgendwann geht es mit den 300.000 Mark
dem Ende zu. Der Vater behauptet, er hat ein geniales System
gefunden, die Spielbank zu knacken. Es scheint aber nicht zu
funktionieren. Der Alfa wird verkauft, keine Schulbücher für das
nächste Jahr besorgt. Was ist los? Schon wieder steht die Polizei vor
der Tür, die nicht aufgemacht wird. Wieder werden Koffer gepackt,
Plastiktüten, denn die teuren Koffer und alles, was Wert hat, werden
gegen Obdach verkauft.
Von nun an geht es bergab: Von der Pfalz an die Côte d’Azur und ohne
Geld nach Guarda, Portugal, ein Bauarbeiter gibt kurz ein primitives
Obdach, erhält dafür alles, was die Familie an Wert besitzt. Über
Lissabon wieder zurück nach Norden. Kurzer Aufenthalt in Paris, der
Vater bittet die Tochter, zu klauen.
»Ich will in die Schule gehen. (...) Ich will, dass Papa aufhört ein Zombie
zu sein.«
Endlich sind die Mietnomaden zu Hause bei Oma angekommen, die
Kinder werden in der Schule angemeldet. Die Oma schafft es, dem
kleinen Fabian die Schwimmflügel abzunehmen, die er Tag und Nacht
seit langen Monaten trug. Aber gleich geht es weiter nach München,
denn die Oma verlangt, dass der Vater sich stellt, man flieht. Ein
Bekannter nimmt die Familie auf, die Kinder müssen im Keller hausen.
Aber auch der hat irgendwann von der Familie die Nase voll, die sich
gemütlich eingenistet hat. Von dort über Erding im Bus mit dem letzten
50-Mark-Schein landen sie in einem Gasthaus in einen kleinen Ort. Völlig
abgerissen erregen sie Aufsehen, als sie mit fünf Personen und zwei
Hunden auf lediglich ein Doppelzimmer bestehen. Die Polizei trifft ein.
Der Trip vorbei ist.
Arno Frank schreibt aus der damaligen Sicht des Kindes, das nicht ganz
versteht, was passiert. Das Kind beobachtet, hat feine Antennen, stellt
Fragen. Der Vater versucht, kindgerecht zu antworten, erklärt seine
Welt der Sicht: Fressen oder gefressen werden, reich zu sein, ohne
einen Finger zu rühren. Statussymbole erscheinen ihm wichtig. Er
besitzt einen goldenen Montblanc-Füller, den Schwester Jeany für
einen Zauberstab hält. Was er in der Zeitung einkreist, steht ein paar
Tage später im Haus. Der Traum vom Leben der Reichen wird zum
Albtraum. Runtergekommen auf der Flucht, ständig hungernd. Jeany
lässt unterwegs Zettel fallen, auf denen »Hilfe« steht, die Kinder sind
traumatisiert.
»Das Geheimnis ist, dass alle bescheißen« … »Mal mehr, mal weniger.
Das ist die Wahrheit. Je früher du auf den Trichter kommst, umso
besser.«
Der Journalist hat geschickt das Kind als Protagonisten gewählt. Er
schreibt seine Geschichte. Das allein reicht nicht, man muss auch über
Erzähltalent verfügen. Und das besitzt Arno Frank. Spannend, tragisch,
humorvoll, man leidet mit den Kindern, schüttelt den Kopf über beide
Eltern. Dem Leser wird schlecht, als die Eltern im geklauten Auto
überlegen, gegen einen Brückenpfeiler zu rasen. Was ist aus ihnen
geworden? Am Ende trennen sich die Eltern, die Kinder bleiben bei der
Mutter, müssen von Sozialhilfe leben. So schnell wie möglich stellen sie
sich auf eigene Füße, haben selten Kontakt. Als die Mutter stirbt, sind
sie bei ihr, ein Fünkchen Liebe ist nie verloschen. Und der Vater? Er
kam auf Bewährung frei. Mehr wissen wir nicht. Der Autor hält uns
heraus aus seinen Gedanken lässt uns nicht ganz eindringen in die
Familiengeschichte. Was war mit beiden Großeltern, konnten sie
behilflich sein? Was denkt der erwachsene Arno Frank über seine
Eltern? Gibt es einen Bezug zum Vater, was wurde aus ihm? Es ist die
Geschichte des Kindes Arno. Und hier endet sie. Nicht im Guten, aber
mit Licht nach vorn.
»Au revoir Kaiserslautern! Bonjour Côte d’Azur!«
Ich konnte das Buch kaum zur Seite legen. Spannend und fein
dargestellt die Psyche der Eltern. Arno Frank zeichnet sie gnadenlos so,
wie sie sind, ohne jemals zu interpretieren. Das Ehepaar-Sorglos: Was
kostet die Welt. Auf hohem Fuß leben, ohne etwas dafür zu tun. Der
Vater spricht es ständig aus, die Mutter nie. Aber man kann sich
vorstellen, dass die Mutter weiß, dass der Vater nicht auf legale Weise
zu Reichtum gekommen ist. Die Mutter ist der Mithilfe schuldig. Denn
warum steigt sie nicht aus, haut ab mit den Kindern nach Hause. Sie ist
bereit, den Kindern das anzutun, ein Nomadenleben in Angst und
Hunger, in Dreck. Als man endlich wieder bei der Großmutter ist, die
Kinder sich weigern, wieder ins Auto zu steigen, weiterzufahren, der
Vater sie brutal hineinprügelt, bleibt die Mutter tatenlos. Was ist ihr
Grund, sich nach der Verhaftung nun doch zu trennen? Hier bleibt
vieles offen. Ein lesenswertes Buch über eine wahre Geschichte. Ein
atemloses Roadmovie.
Au revoir Côte d’Azur Bonjour Kaiserslautern!
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