© Sabine Ibing, Lorib GmbH         Literaturblog Sabine Ibing
Autorin Sabine Ibing
Bücher, die mir selbst gut gefallen haben zeitgenössische Romane Rezension Studierst du noch oder lebst du schon?  Graphic Novel von Tiphaine Rivière »Stimmt es, dass du an der Schule aufgehört hast, weil du Angst hast erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen?« (fragt die kleine Nichte Jeanne) Jeanne ist Lehrerin, stellt aber bei einem Ausflug fest: Kinder sind Monster. Irgendwie hatte sie sich den Beruf anders vorgestellt. Darum entschließt sie sich, eine Hochschullaufbahn einzuschlagen. Zuerst muss sie eine Dissertation schreiben, ein Thema fällt ihr ein: die Erzählung des Wächters, Kafkas Torhüterparabel. Um ein Stipendium zu ergattern, muss sie sich aber verpflichten, selbst eine Lehrveranstaltungen abzuhalten. Was sind schon vier Wochenstunden Unterricht?, denkt sie. Jeanne bekommt das Stipendium und hat nun drei Jahre Zeit, ihre Arbeit zu verfassen, schreibt sich an der Pariser Sorbonne ein, um zu promovieren. Und dann erhält sie das Thema ihrer Lehrveranstaltung: Mittelalterliche Literaturgeschichte. Keine Ahnung. Mit den Seminarvorbereitungen ist die halbe Woche abgedeckt. Irgendwie wird sie es schaffen, zu ihrem eigenen Thema zu recherchieren ... Sie macht sich einen Stundenplan von 7 - 23 Uhr, 7 Tage. Geht doch. Das Gehalt ist nicht großartig, also zieht Jeanne mit ihrem Freund zusammen, der Konflikt ist vorprogrammiert. Gutes Gehalt für eine zeitraubende Arbeit? Wer denkt denn sowas? Erfahrung, so sagt man Jeanne, sei viel wertvoller. Immerhin, die kann einem keiner klauen, insofern muss was dran sein, oder? »Und was macht man dann damit?« - die ewige Frage   Wer studiert ist faul, hat keine Lust zu arbeiten, so flüstert die Familie hinter vorgehaltener Hand, will keine Verantwortung übernehmen ... Die Eltern, der Freund, alle setzen Jeanne unter Druck: Wie weit bist du?, wann bist du endlich fertig?, was macht die Doktorarbeit? Ja überhaupt, was schreibst du da? Wie erklärt man seiner Verwandtschaft, dass man eine Doktorarbeit über ein einziges beklopptes Buch schreibt? Welchen Nutzen hat das für diese Welt? Wie gern wäre man in diesem Augenblick Ingenieur! Jeanne denkt an Melanie, die seit sieben Jahren an ihrer Doktorarbeit schreibt. Das könnte ihr nie passieren! Hier geht es um das Schreiben einer Doktorarbeit. Letztendlich ist das Thema austauschbar mit Diplomarbeit oder Masterarbeit. Jeder der die Tortur hinter sich hat, wird mitfühlen können. Jeanne bastelt an ihrem Inhaltsverzeichnis, tauscht Unterkapitel gegen Unterkapitel aus 3.3.1 gegen 3.2.2  Bevor man beginnt, schnell mal Schopenhauer lesen, um danach festzustellen, dass man die Gliederung völlig falsch anging. 2.7.3 gegen 4.5.2 tauschen. Auch der Titel bedarf Bearbeitung, Worte werden umgestellt, leicht verändert, es gibt 1000 Möglichkeiten, diese Wörter zu drehen und zu wenden, denn Worte sagen viel aus. Jeane liest und liest, bringt aber selbst nicht einen einzigen Satz zustande, ich vergaß, Überschrift und Inhaltsverzeichnis ... Ihre Dozententätigkeit frisst sie auf. Was sind schon 4 Unterrichtsstunden? 4 Stunden Unterricht, 50 Stunden Vorbereitung. Jeanne verändert sich, innerlich, wie äußerlich, sie verwahrlost ein wenig, aber nicht nur sie. Amüsant sind die »Fotos« der Doktoranten, vor der Arbeit, nach der Arbeit: Jünglinge wurden zu Greisen. Jeanne, müde, kränklich wirkend, miesepetrig, gealtert, schlampig, innerlich wie äußerlich. Meine Lieblingsfigur ist die Sekretärin, das Zentrum der Macht. Am Anfang dachte ich, hier erwartet mich viel Ironie, leicht tragender Sarkasmus, pointierter Witz. Nein, der Comic ist eine Abrechnung. Sie zahlt des ihrer UNI heim, Tiphaine Rivière schreibt sich den Frust aus der Seele, sie, die ihre Dissertation in Literatur im dritten Jahr abbrach. Jeanne beißt sich allerdings verbissen durch, so klingt auch der Text ein wenig verbohrt. Die Zeichnungen sind fantastisch. Rivière schafft Atmosphäre, lässt ihre Figuren leben, lässt sie leiden, lästern, genervt sein, arrogant, bittend, müde, wir verstehen sie auch ohne Text. Die Farben halten sich gedeckt, wie durch einen »Transfer-« oder »Blass-Filter« wahrgenommen. Die Farbwahl unterstreicht die Tristes, Verbitterung, Griesgrämigkeit, Verbissenheit. Alles in allem ein toller Comic, eine Graphic Novel. Ich hatte das Buch als Geschenk geholt und kann es empfehlen. Früher habe ich oft gute Comics gelesen. Warum hatte ich das eigentlich vernachlässigt? Gezeichnet ist dieser Comic in der Spitzenklasse anzusiedeln. Inhaltlich hätte mir Satire ein wenig besser gefallen, als dieser depressive Negativklotz. zeitgenössische Romane Krims und Thriller Historische Romane Fantasy, Fantastic, SciFi, Utopien Dystopien Sachbücher (für jedermann) Kinder- und Jugendliteratur