Autorin
Sabine Ibing
Der erste Satz: »Vor meiner Geburt, hatte mir mein Vater erzählt, sei er
mit einer Harpune auf Fliegenjagd gegangen.«
Ein Sohn liebt seine Mutter, ein Mann liebt seine Frau, eine verrückte
Familie. Der Roman berichtet abwechselnd aus der Sicht von Vater und
Sohn über diese Frau, Nina, die Ehefrau, die Mutter. Ein schräges,
verrücktes Buch mit viel Humor und Traurigkeit. Schnell merkt man, diese
Frau ist anders, exzentrisch, abgerückt von dieser Welt, sie tut, was sie
muss, was sie will. Nina siezt ihren Ehemann, ihren Sohn, verlangt, immer
neue Vornamen, mehr als zweimal hintereinander darf der Gleiche nicht
genannt werden. Das Leben ist eine Party, Nina trinkt den ganzen Tag
lang Cocktails und Champagner. Das Haustier ist ein Jungfernkranich
namens Taugenichts, der durch die Räume stolziert. George verdient viel
Geld in der Automobilbranche, ist wenig zu Hause. Sie wohnen großzügig,
es gibt ein weiteres Domizil in Spanien für den Urlaub. Nina möchte aber,
dass George zu Hause ist. Sie findet, arbeiten sei eine unnütze Tätigkeit.
»In der Schule lief alles schief, wirklich alles, für allem für mich. Wenn ich
dort von zu Hause erzählte, glaubten mir weder die Lehrerin noch meine
Kameraden, also log ich verkehrt herum.«
Der Sohn wird von den Eltern unterrichtet, denn er kommt in der Schule
nicht klar. Berichtet er von zu Hause, lachen alle, drum erzählt er dort
Lügen, über eine normale Mutter und zu Hause erfindet er Märchen über
die Schule, weil die Realität die Mutter irritiert. Doch irgendwann reicht es
nicht mehr, umgekehrt zu lügen …
»Vater sah zu, wie sie ruhig lächelnd auf die Fragen antwortete, und
nahm meine Hand, damit ich ihn nicht alleine ließe. Sein Blick war matt. Die
Feuerwehr hatte restlos alles erstickt und gelöscht, auch das Leuchten in
seinen Augen.«
George bleibt zu Hause und es werden noch mehr Partys gefeiert und es
passieren noch mehr verrücktere Dinge. Man weiß ziemlich schnell, dass
Nina nicht einfach exzentrisch ist, man merkt, sie hat psychische
Probleme, ich vermutete beim Lesen eine Form der Psychose. Und
irgendwann ist es soweit: Nina hat einen Zusammenbruch.
»Im Flur ließ Maman ihre hohen Schuhe von den Füßen an die Decke
fliegen und klaute mir ihre Bommelmütze, um mit mir Walzer zu tanzen.
Ihr Seidenschal streichelte mein Gesicht, ihre Hände waren weich und
warm, man hörte nur ihren Atem und das rhythmische Klatschen von
Papa, der uns selig lächelnd folgte.«
Sprachlich passt sich der Roman der wohl manisch depressiven Mutter
an, beschwingt, euphorisch, was kostet die Welt, was gehen mich die
anderen an?, atemlos in Feierlaune, bis hin zu traurig-depressiven
Stimmungen, die den Leser fast zum Weinen bringen. Ein
»Gefühlsroman«, der einen Sog beim Lesen entwickelt, ein Gespür zu
finden für alles Verrückte auf der Welt, es zuzulassen, sich hineinfallen
zu lassen, Verrücktes als normal zu sehen. Aber genau an den Punkten,
wo die Familie aufklatscht, schnappt man auch als Leser nach Luft. Nichts
Aufgesetztes, kein Kitsch.
»Auf dem Gang waren viele Leute, die von außen vollmöbliert und völlig
normal wirkten, innen aber fast leergeräumt waren.«
Mich hat mich das Buch gepackt, voll begeistert in seiner Verzauberung
und seinem Ausdruck. Doch am Ende ließ es ein wenig mich ratlos zurück.
Nehmen wir den Roman als ein modernes Märchen, dann ist alles gut.
Fange ich an nachzudenken, dann merke ich, einer der beiden Erzähler
konnten mich nicht wirklich berühren. Die Affenliebe, des Ehemannes
gegenüber Nina, ist irreal. Der Sohn liebt die Mutter, was sonst, sie hat
etwas Zauberhaftes für das Kind. Das bringt in der realen Welt
allerdings viel Probleme mit sich. Und genau darum isoliert sich die
Familie. Den Ehemann konnte ich so gar nicht greifen. Es gibt den
Protagonisten mit Namen Schuft, der beste Freund vom Vater, ein
Senator aus Frankreich, der dem Vater zu seinem kometenhaften Erfolg
verholfen hatte, eine Figur, die mir ein Rätsel bleibt. In der Andeutung
liegt die Stärke. Hier ist mir allerdings ein wenig zu viel angedeutet. Ein
lesenswertes Buch, sprachlich, entrückt, verrückt … sprachlich ein
Zuckerwerk.
Dieses Erstlingswerk aus einem kleinen Verlag wurde in Frankreich ein
Bestseller, gewann diverse Preise und wurde bereits in zwanzig
Sprachen übersetzt.
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