Autorin
Sabine Ibing
Der erste Satz: »Sie fuhren den Pick-up eigentlich nie, nur ein, zwei Mal im
Jahr zum Holzholen. Er war oben am Hügel vor dem Schuppen geparkt,
und in den Dellen auf der Motorhaube sammelte sich Regenwasser und
im Regenwasser Mückenlarven. So war es, als Wade mit Jenny
verheiratet war, und so ist es jetzt, wo er mit Ann verheiratet ist.«
Die Geschichte spielt an einem abgelegenen Ort in Idaho, im Gebirge im
Norden des Staates, beginnend in 1973 und endend in 2025. Wade ist
verstorben, Ann denkt an ihren Mann zurück, an ihre Ehe mit Wade, an
Jenny, die von ihm geschieden ist, die im Gefängnis sitzt, an alles, was
geschehen ist. Ann versucht zu ergründen, warum die Sache eskalierte.
Ann war die Lehrerin der beiden Töchter von Wade. Die eine wurde von
der Mutter erschlagen, die andere lief weg, wurde nie wieder gesehen.
»›Wir haben keinen Schneepflug‹, sagt Wade. ›Der Mann, der uns das
Grundstück im Frühjahr verkauft hat, meinte, ganz oben auf dem Iris
würde ein Schulbusfahrer wohnen. Angeblich würde das County die
Straße den ganzen Winter über räumen, damit der Schulbus zu allen
Kindern kommt.‹«
Wade ist ein fleißiger junger Mann, arbeitet auf Farmen, spart sich Geld
zusammen, möchte ein eigenes Grundstück besitzen, ein eigenes Haus.
Er trifft auf Jenny, die für ihn alles aufgibt, ein Studium, eine Karriere.
Sie kaufen ein Grundstück, ziemlich weit oben auf dem Berg. Jenny ist
schwanger. Die schlagen Holz, bauen den ersten Raum, der als einziges
Möbelstück neben dem Herd ein Bett hat. Der Winter bricht ein, ohne
Schneepflug sitzen sie fest. Sie haben Glück, das Kind kommt erst nach
der Schmelze. Wade stellt im Winter Messer her, mit kunstvoll
geschnitzten Griffen, die er im Sommer verkauft. Das Haus wird größer,
Möbel ziehen ein, eine Werkstatt wird gebaut, eine Scheune. Ein zweites
Kind ist unterwegs.
»Schnee sammeln. Das Heulen der Kojoten gräbt Tunnel in die eisige
Stille, und die Raben in den Bäumen erahnen schon den Frühling, wenn
sie ihr schwächstes Küken aus dem Nest stoßen werden; im Herzen
haben sie es längst getan. Tief in der Erde halten Vipernattern ihren
wachsamen Winterschlaf, die Leiber kalt und starr, zuckend und heiß die
Gedanken. Millionen heimlicher Regungen, Millionen von Mittelpunkten,
die wie gespannte Federn losschnellen und genau in diesem Moment in
diesem Haus kollidieren, in einem stillen Knall, in dieser wunderbaren
Vergessenheit, in der Wade und Jenny einander lieben«
Die Geschichte wird in Multiperspektive geschildert, nicht chronologisch,
die Autorin wechselt personal und auch die Zeitfolge. Immer wieder
kommt die Katastrophe zur Sprache. Und irgendwann ahnt der Leser,
was die Mutter dazu trieb, ihr Kind zu erschlagen. Die Autorin gibt uns
verschiedene Einblicke in die Protagonisten, von außen, von innen, wir
lernen sie immer tiefer kennen. Aber hier habe ich ein Problem. Warum
heiratet Jenny, die Großes vorhat, Wade vom Fleck weg, als sie ihn
kennenlernt? Gut, es soll die große Liebe sein. Aber eben darum passt
die schreckliche Tat für mich nicht ins Konzept. Diese Mutter erschlägt ihr
Kind mit dem Beil? Die möglichen angeführten Gründe passen nicht in das
psychologische Profil der Frau.
»An den Wochenenden bekam sie Heimweh nach ihrem Klassenzimmer.
Selbst wenn sie sich darin aufhielt, war sie vage angewidert von all dem
Schönen draußen vor dem Fenster – dem fedrigen Raureif auf den
Pflanzen im Winter oder, viel später, den blühenden Lilien unten am
Teich, deren Konturen seine Fingerabdrücke auf der Scheibe
verschwimmen ließen.«
Warum heiratet Ann Wade? Ich verspüre von ihr keine Leidenschaft zu
Wade, lediglich von Wade zu Ann. Zu dem Zeitpunkt ist Wade bereits
krank, erste Anzeichen von Demenz sind sichtbar. Wade ist an einer so
genannten Frühdemenz erkrankt, ein genetisches Erbe seines Vaters,
Wade erklärt das, will Ann deshalb nicht heiraten, ihr diesen Zustand
zumuten. Warum gibt ihren Beruf auf, zieht in die Einsamkeit zu einem
Dementen, den sie nicht liebt? Wovon leben sie? Die Einsamkeit liegt Ann
nicht, wilde Natur ängstigt sie eher und sie bekommt immer mehr
Schwierigkeiten mit dem dementen Wade. Auch diese Figur erschließt
sich mir nicht, das alles gibt keinen Sinn.
»Während sie mit einem Stock die Eisschicht auf dem Wassertrog der
Ziegen zerschlägt, versucht sie diese simple Tatsache zu verstehen: Ich
bin hier, weil du nicht hier bist.«
Ann ist Musiklehrerin, die Wades Töchter June und May unterrichtet.
June ist ein wenig störrisch. May ist sehr begabt und musikalisch. Deshalb
engagiert Wade Anne, sie soll May Klavierunterricht geben. Eigentlich
möchte er selbst Klavierunterricht erhalten, lässt er nebenbei heraus. So
lernen sich Ann und Wade kennen. Eines Tages kommen die Mädchen
nicht in den Unterricht, die Kleinstadt befindet sich in Schockstarre. Auch
dieses Drama erschließt sich mir nicht. May stirbt, von der Mutter
erschlagen, June läuft weg, sie mag 10-12 Jahre alt sein. In Entsetzen
läuft sie in die Wälder, so weit verständlich. Ein Suchtrupp ist tagelang
unterwegs. June bleibt für immer verschollen. Das erinnert mich an das
Buch »Speicher 13«. In dem Roman hat es mich nicht gestört, dass ein Kind
verschwand. Ich kann es nicht genau definieren, es ist hier, in diesem
Roman, ein Gefühl des Verlassenseins als Leser. Vielleicht auch, weil hier
gar nichts geklärt wird, die Charaktere der Figuren nicht stimmig
herüberkommen. Ann kann Jenny nicht ersetzen, die Vertrautheit kommt
nicht auf. Auch das widerspricht sich, ich will nicht zu viel verraten.
Der Hund weiß immer noch, was Wade gewollt hätte. Der Hund buddelt
immer noch nicht da, wo er nicht darf, und tötet immer noch nicht, was er
nicht töten soll. Und ich, denkt Ann, ich weiß nach dreizehn Jahren an
seiner Seite immer noch nicht, wohin ich gehen und was ich tun soll, wer
ich bin.«
So geht es mir mit Ann. Jenny, die erste Frau von Wade hat sich mir
halbwegs erschlossen. Ann kommt mir emotionslos herüber, ich verstehe
nicht, was sie will und warum sie irgendetwas macht. Emily Ruskovich
kann wundervoll erzählen, bringt die Einsamkeit der Berge von Idaho
herüber, das harte Leben, die Verbundenheit mit der Natur, aber die
Figuren sind sperrig. Am Anfang hat mir der Roman gut gefallen. Mit den
Figuren bin ich am Ende ratlos, insgesamt mit der Geschichte. Was soll
mir die Geschichte sagen? Ich habe nichts dagegen, wenn eine
Geschichte in Zeit und Perspektive wechselt, nicht chronologisch ist, ein
dramaturgisches Mittel, das mir gefällt. Allerdings ist mir in diesem
Roman ein wenig zu viel gestückelt, versetzt, das hat die Story nicht nötig.
Emily Ruskovich wuchs im Idaho Panhandle auf dem Hoodoo Mountain
auf. 2015 war sie unter den Preisträgerinnen des Henry Award und ist
Absolventin des Iowa Writers’ Workshop. Idaho ist ihr erster Roman.
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Idaho
von Emily Ruskovich